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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wieder einmal Kontrollen stattfanden und jeder einfahrende Wagen von Soldaten aufs Genaueste inspiziert wurde. Auch hier Polizei und Gardisten. Was suchten die nur? Na, egal …
    Was zählte war allein, daß sie ihr Ziel erreicht hatte. Und so stand sie nun, ein wenig ängstlich, das schon, und blickte hinüber zu den Seine-Inseln. Wie zwei von goldenem Licht umspülte Schiffe lagen sie, und die Nachmittagssonne zeichnete die Schatten ihrer vielen Türme lang und schwarz über die Dächer. Selbst der Fluß nahm sein Bad in all diesem schwimmenden Gold.
    »He, was ist denn?«
    Der Gascogner hatte sie in die Seite gestoßen, und sie fuhr herum.
    »Hast du überhaupt gehört, was ich dir gesagt habe?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Hab' ich's mir doch gedacht. Was ist bloß mit dir, Jeanette? Mein Gott, wie soll das noch ausgehen?«
    Ja, dachte sie, wie? Gut mußte es ausgehen. Wie denn sonst?
    Blaises wasserhelle Augen suchten sie zu durchbohren, nichts als Anklage im Blick. »Jetzt hörst du aber zu.«
    »Natürlich. Verzeih.«
    »Mon dieu, was bleibt mir schon übrig? Als ob's nicht reichte, daß du zu Hause einen verrückten und obendrein noch kranken Dichter hast, spielst du auch noch selbst verrückt, kuckst rum, als seist du irgendwo auf den Wolken oder was weiß ich wo, jedenfalls nicht auf dieser Welt.«
    Er hatte ja recht.
    »Dies aber«, so schrie er, »dies ist nicht Neuilly, dies ist Paris!«
    »Das seh' ich selbst.«
    »Werde nur nicht schnippisch. Also, ich wiederhole es dir nochmals: Ich habe jetzt im Lagerkontor zu tun. Dann wird hier abgeladen. Aber das dauert nicht allzulange. Ich schätze eine Stunde.«
    Das war wirklich wenig.
    »Und?«
    »Und, und. Wir müssen uns jetzt trennen, Jeanette. Siehst du diese Uhr dort oben am Turm? Eine Stunde, nicht länger. Denn dann fahre ich zurück nach Neuilly. Und wenn du nicht da bist, kannst du drüben im Spital schlafen. Unter all den anderen Irren. Drüben, dort, im Hôtel de Dieu.«
    »Ich werde hier sein.«
    Er grinste, schüttelte den Kopf, kniff sie leicht in die Wange und sah sie lange an. Sie wußte ja, was der Blick meinte. Auf dem Herweg hatte er es ihr erklärt: »Wenn dieser Chartier nicht wäre … Du kannst kaum lesen, aber ein Dichter muß es sein, also, wenn dieser Chartier nicht wäre, was wäre aus uns doch für ein schönes Paar geworden …«
    Er hob die Hand und winkte. Und sie sah ihm nach, wie er lang und sehnig, die Mütze über dem blondleuchtenden Haar, die Schultern nach vorne geschoben, im Torbogen eines der großen, alten Häuser verschwand.
    Dann drehte sie sich um.
    Das Ziel kannte sie.
    Es lag auf der anderen Seite der Insel, auf der anderen Seite des Flusses. Und sie würde es erreichen. Sie konnte nicht aufgeben, wie denn auch? Wer, außer ihr, vermochte jetzt noch Alain zu helfen?
    Sie würde kämpfen, das ja. Sie wußte es. Doch im selben Atemzug fühlte Jeanette auch, wie der Mut in ihr gleich einer müden Kerzenflamme zu erlöschen drohte …
    »Du, Hannchen, Haubenmacherin,
kein Freund legt je dir Fesseln an.
Kathrin, du, Beutelnäherin,
jag mir zum Teufel keinen Mann.
Kein Mannsbild liebt ein Scheusal mehr,
dem Hohn und Lachen nur beschert.
Ein altes Weib läßt Liebe leer,
wie eine Münze, die nichts wert.«
    Und nun aus dem Halbdunkel als Antwort hundert Männerstim men, ein Geschrei und Gebrüll, das Jeanette frösteln ließ.
    »Wollt ihr wohl ruhig sein!«
    Ein strenger Lautenakkord zerschnitt den Krach. Dann wieder die Stimme, halb sang sie, halb sprach sie:
    »Ihr Mädchen, horcht nur eifrig hin:
Warum ihr mich so klagen hört?
Weil ich nichts anderes mehr bin,
als eine Münze, die nichts wert …«
    Es war ein näselnder, ironisch schwingender Bariton, der Jeannette die Verse entgegentrug. Alains Verse klangen so gemessen, sie waren schön gesetzt und klagten um Liebe und Schicksal wie eine traurige, oft versponnene Melodie. Diese Worte aber? Genau wie die Bolzen eines treffsicheren Armbrustschützen schlugen sie durch die plötzliche Stille im düsteren Saal.
    In eine Nische am Fuß der Treppe hatte Jeanette sich gedrückt. Und wagte kaum zu atmen. Sie versuchte ihre Angst zu bezwingen, versuchte mit dieser aus ihrer Furchtsamkeit jäh aufkeimenden Erkenntnis fertig zu werden: Es ist umsonst. Alles ist umsonst. Und der Gascogner hat vollkommen recht: »Du bist schon genauso verrückt wie dein Dichter! Der hat dich doch angesteckt.«
    Über den Pont du Change war sie gekommen, hatte die Île überquert, war durch

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