Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
es, hatte Alain erzählt, als ›Gil, der Sänger‹, um seine Spielschulden zu bezahlen, sich eine Kapuze über den Kopf zog und die Ablaßhändler von Saint Denise und der anderen Klöster der Umgebung überfiel und ihnen das Geld abnahm, mit dem die Reichen von Paris sich das Fegefeuer ersparen wollten.
    Die Hälfte der Studenten, ihre Mädchen und Huren wußten zwar, woher der plötzliche Segen des Sängers kam, lachten sich zu Tode, aber hielten zumeist den Mund.
    Doch als Gil dann beim Streit um einen Kartengewinn einem Mailänder Studien-Kollegen mit dem Degen die Lunge durchbohrte, war es soweit. Doch ehe sie ihm den Prozeß machen konnten, floh Gil an den Hof des Herzogs von Orleans, desselben Orleans, den die Engländer ein paar Jahre später auf ihre Insel verschleppten. Nun, damals schon nannte man Karl von Orleans den Dichter-Fürsten. Und das wohl zurecht, denn bei ihm fand jeder Zuflucht, der gut reimen oder die Laute zu schlagen wußte. Ob er nun Mörder oder Räuber war.
    »Selbst einer wie François Villon …«, hatte Alain gesagt.
    »Kennst du den?«
    Jeanette hatte den Namen schon gehört. Und das sogar zu Hause in der Bretagne. François Villon, Räuber und Verbrecher, Wegelagerer und Mörder, zweimal bereits zum Tode verurteilt und doch der Freund eines Herzogs, einer, dessen Lieder man selbst in den Dorfkneipen und Postschenken der Provinzen sang.
    Alain hatte den Kopf geschüttelt. Nein, François Villon kenne er nicht. Leider …
    »Seine Verse aber kenne ich. Und jeden einzelnen davon. Und wäre er mir einmal begegnet, dann hätte ich ihn umarmt und ihm den Lorbeerzweig überreicht … Weißt du, was er dann gemacht hätte? Sich kaputtgelacht und einen Becher Wein verlangt.«
    Alle, alle waren sie gleich. Verachteten das Geld, zeigten sich zu jeder Dummheit bereit, wenn sie nur ihre Verse schmieden konnten.
    Daran dachte Jeanette im Dunkel ihrer Nische.
    So war es doch mit diesen Dichtern. Den meisten wenigstens. Was waren das für Menschen, die auf das Geld genauso pfiffen wie auf Ehre oder Sicherheit? Die Ablaßhändler verprügelten und ausraubten wie dieser Gil Legrand, die Menschen überfielen und erstachen wie ein François Villon, die keiner Frauenaffäre aus dem Wege gingen, soffen und spielten und dennoch nur ein einziges Lebensziel hatten: Irgendwo in einer Ecke zu sitzen und irgendwelche Verse auf Papier zu bringen.
    Ja, zu welch sonderbarer Sorte Mensch zählten sie, diese Dichter?
    Alain zum Beispiel. Nein, er hatte nie jemandem Leid angetan. Und weil er Geld verachtete, hungerte er freiwillig. Doch das Geld rächt sich. Es läßt dich an Hunger sterben, Alain. Oder an der Krankheit krepieren. Verstehst du denn nicht?
    Alain – das einzige, was sie wußte, war, daß sie ihn liebte. Denn in Wirklichkeit, kannte sie ihn? Nein. Und niemals würde sie ihn je kennenlernen.
    Unter all diesen merkwürdigen Geschöpfen jedoch bildete Gil Legrand eine Ausnahme: Er sorgte dafür, daß das Geld ihm nicht nur blieb, sondern sich auch mehrte.
    »Dieser Gil«, hatte Alain gelacht, »er ist unglaublich! Der verführt sogar die Pfaffen, versorgt Äbte und Mönche von Saint Denise mit jungem, frischem Mädchenfleisch. Auf diese Weise hat er sich den ›Blauen Schwan‹ erworben. Das Haus war Klosterbesitz.«
    Priester sind Menschen. Und daß sie in Vielem viel menschlicher sind als ihre Schäfchen, wo wußte man das besser als in Frankreich und vor allem hier in Paris? Der Besitzer des ›Blauen Schwan‹ aber hieß Gil Legrand. Und darauf kam's an.
    Auch für Jeanette. Das Wichtigste, was ihr Gil zugeflüstert hatte, ehe er davonritt, trug sie im Gedächtnis: »Wenn Chartier mich nicht besuchen will, dann kommt Ihr. Und bringt mir ein Gedicht von Alain. Und sagt ihm, ich zahle in Dukaten.«
    Ein paar Dukaten würden genügen, um Alain das Leben zu erhalten, sein süßes Leben …
    Nun aber schien alles aussichtslos. Jeanette zitterte. Da stand sie im Schatten, und das Herz klopfte ihr am Hals. Welche Höhle! Ein ganzer Saal voll Männer. Und gewiß eine der schlimmsten Kneipen der Stadt. Hier mochten Dichter auftreten wie dieser Mensch mit seinem kahlen Kopf, der dort stand und seine Verse sang, Worte, auf die wie ein höllisches Echo Gejohle und Pfiffe antworteten. Wie denn willst du hier Gil finden?
    Es gab auch Frauen. Frauen von der Art, die nichts daran fanden, daß man an ihren Röcken zerrte, sie in den Hintern, in die Taille oder in den Busen kniff. Und forderten sie es nicht heraus
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher