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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit diesen enggeschnittenen Miedern, die kaum die Brustspitzen verbargen, schamlos, wenn man es so betrachtete. Die Schamlosigkeit der Stadt. Schon der Pfarrer in Saint Laurent hatte davon geredet. Nie hatte sie es richtig ernst genommen, aber nun, wo sie es sah – ließen sich betatschen, ließen sich sogar ins Mieder fahren und lachten noch dazu!
    Wo aber war dieser Gil Legrand?
    Sie sah sich um.
    Bald würde die Stunde verronnen sein, die ihr zur Verfügung stand. Jeanette hörte förmlich den Sand der Uhr durchs Glas rieseln. Und es war ja nicht nur die Zeit, mit ihr schwand auch die Hoffnung.
    Jeanette wagte sich in den Saal.
    Hier stand eines dieser Weiber. Groß war sie und üppig. Gerade noch, daß dieser Fetzen ihre Brustwarzen bedeckte. Blond auch. Die Locken klebten ihr in der Stirn. Und das verbiesterte Lächeln, das sie zur Schau trug, legte sie wohl am Abend in ihrer Kammer ab wie ihre verschwitzten Kleider.
    »Kann ich dich bitte sprechen?«
    Sacht und ganz vorsichtig hatte Jeanette ihren Ellbogen berührt. Schon wirbelte die Blonde herum, und die Augen wurden groß und rund wie Knöpfe aus blauem Glas.
    »Du? … Wer bist du denn?«
    »Ich bin Jeanette Mellier. Ich komme wegen Alain Chartier.«
    »Ach nein?« Das grobe Gesicht verzog sich spöttisch: »Wirklich? Und was will sie hier, zum Teufel, die Jeanette Mellier?«
    »Ich … ich will …«
    Ich will Gil Legrand sprechen, das war es, was Jeanette sagen wollte. Sie bekam den Satz nicht über die Lippen.
    Und wie auch?
    Es waren zu viele Eindrücke, und sie stürmten alle gleichzeitig wie in einem farbigen Wirbel auf sie ein: Da war ein stiernackiger, breitschultriger Kerl mit wäßrig-betrunkenen Augen, der sich von der Bank hochschob, nach ihr griff, und gleichzeitig dröhnte vielstimmiges Gejohle zur Decke, das in einem Namen zusammenfloß: »François … François …«, und nun, tatsächlich, hoch über der Reihe der Tische, die Fußballen sorgfältig und schlafwandlerisch geschickt zwischen Bier- und Weinbecher setzend, kam ein Mann herangetänzelt, der Mann mit der Laute, der Dichter oder Sänger. Dünne, röhrenförmige Beine hatte er, aus denen ein runder Bauch wuchs, lange, fasrige, graue Haarsträhnen fielen ihm rechts und links vom kahlen Schädel und dazu dieses Gesicht, von Narben entstellt, die Augen schräg, Augen, die glänzten wie schwarze, frisch gebrochene Kohlenstücke. »François! François!« brüllten die Studenten.
    »Laß los, du Idiot!« schrie die Schankmaid. Sie gab dem Betrunkenen einen Stoß, daß er auf seine Bank zurückfiel.
    Der Mann auf dem Tisch aber hob das rechte Knie, drehte eine Pirouette und schlug einen Akkord an.
    Sofort wurde es still.
    Wieder drei, vier Saitentöne. Sie schwangen durch die jähe Stille, reihten sich wie Perlen an einer unsichtbaren Schnur zu einer kleinen, frechen Melodie, der auch das Grunzen des Betrunkenen auf der Bank nichts anhaben konnte, und dann die Stimme. Klar und überraschend jung klang sie. Nicht laut, und doch erfaßte sie noch den letzten Winkel. Spöttisch dazu drang sie aus einem aufgequollenen Leib und einem vom Leben verwüsteten Gesicht.
    »Ach Venus! … Ach Stern, der du entschwindest …«
    Was sie nun ausrief, ging Jeanette direkt durchs Herz: »Ach Leben, süßes Leben …«
    Alains Worte.
    Und wieder ein Akkord. – Und nun …
    »Dirnchen mit der offenen Brust,
mit der ihr Männer wollt verführen,
Spitzbuben, Schreier voller Lust,
Jahrmarktsvolk mit Murmeltieren,
Narren ihr, und Weiber in den Türen,
die pfeifend gehn zu drein und vieren
mit Bursch und Mädel zu poussieren,
na gut, verzeiht denn alle mir!
Denn eins nur will ich heut euch sagen,
Frau Venus hat uns stets verraten …«
    Sie schrien. Der Mann dort hüpfte hoch, daß der Tisch sich bog und Humpen und Becher fielen.
    Sie klatschten. Sie streckten die Finger nach ihm, und er ließ den Blick über die hochgehobenen Hände schweifen, zeigte ein Faunsgrinsen, drehte seine Narren-Pirouette und wischte sich mit dem Handrücken über den feuchtglänzenden Mund.
    »He du! Was willst du von Gilbert?«
    Das Schankmädchen. Beinah hätte Jeanette sie vergessen, so sehr stand nun auch sie im Bann des Sängers dort auf dem Tisch. Wieder schlug er die Laute, um mit seinem Sprechgesang fortzufahren:
    »Seht nur den Prinzen, unsern Herrn,
auch er Frau Venus frommer Knecht,
erlaubt der holden Margaret,
daß sie im Wald spazierengeht
und dort verteilt, was ihm gehört,
den Kuß an Dichterfreund Chartier.
Und wie
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