Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
denn nicht? Nehmt's nur im Kern,
im Leben spricht Frau Venus Recht …«
    »Chartier! Chartier!« brüllte es jetzt. So laut schrien sie, daß die Scheiben zitterten. Der Refrain kam im Chor: »Im Leben spricht Frau Venus Recht!«
    Der Lärm, die verwirrenden Worte, die Jeanette nicht verstehen konnte, vor allem aber der Name, dieses noch immer anhaltende »Alain Chartier – Alain Chartier«, unter dem ganzen Ansturm wich Jeanette erschrocken in ihre Nische zurück, »… im Wald spazierengeht«? Wer geht im Wald spazieren? Wer war die holde Margaret, die dort einen Kuß an Chartier …?
    »Nun, wie ist das? Willst du jetzt?« Die Blonde war ihr gefolgt. »Willst du jetzt Legrand sprechen oder nicht?«
    Die Augen glitzerten vor Neugierde.
    »Ja … Natürlich, ja, das will ich …«
    »Legrand ist dort drüben. Komm mit.«
    Von jäher Angst gepackt, schüttelte Jeanette den Kopf.
    »Aber du sagst doch, du kennst Chartier?«
    »Ja. Wegen ihm bin ich ja hier.«
    »Na gut, dann bleib hier stehen. Ich hole ihn.«
    Auch diesmal erschien er wieder in Purpur. Aber er erschien Jeanette noch größer als damals an dem Tag, als sie ihm zum erstenmal begegnet war und er doch sogar hoch zu Roß ans Haus herangeritten kam.
    Diesmal trug Legrand einen kurzen, purpurroten Umhang, der geschnitten war wie der eines Soldaten. Der mächtige Schädel mit dem sonderbar flachen Gesicht ragte aus einem breiten, sehnig-muskulösen Hals, den ein speckiger, verschlissener, kurzer Kragen umschloß, und als er nun den Arm anhob, erkannte Jeanette, daß er unter seinem Umhang nichts trug als nackte Haut. Legrand – der Jahrmarktskönig, Patron des ›Blauen Schwan‹, Legrand, der Fürst der Verrückten.
    Er lachte.
    »He?! Da soll mich doch der Teufel holen … Seh ich recht? Bist du nicht Alains kleine Hexe?«
    Jeanette schluckte.
    »Und was versteckst du dich hier am Eingang? Wo wir Alain gerade ein Fest bereiten. Was heißt wir – François Villon selbst und höchstpersönlich!«
    Villon?
    Einen ungläubigen Blick warf Jeanette hinüber zu diesem Possenreißer mit der Laute. Sie begann zu frösteln, und das Frösteln mündete in ein Zittern, das sie nicht zu beherrschen vermochte, so daß es schließlich den ganzen Körper erfaßte. Ihre Gedanken flohen voreinander her: Alain … Ein Fest für Alain …? Und hustet sich zu Tode … Der Gascogner wartet … Und die Zeit verstreicht. »Dann kannst du im Hôtel de Dieu schlafen«, hatte der Gascogner gesagt. »Bei den Irren …«
    Nein! Das nicht … Um der Jungfrau willen.
    »Ich brauche Geld.« Sie stieß es ohne Einleitung heraus.
    »Brauchen wir doch alle«, lachte Legrand. »Da bist du nun wirklich nicht allein.«
    »Ja. Doch ich brauche es für Alain.«
    »Wo steckt er überhaupt, dieser Himmelhund? Bist du etwa allein gekommen? Pardon …« Und erneut zeigte sich dieses überlegene, jungenhafte Grinsen: »Verzeiht mir. Haben Demoiselle an diesem Abend etwa auf ihren Begleiter verzichtet? Dürfte ich ergebenst nach den Gründen fragen?«
    »Alain ist krank.«
    »Das ist er seit Jahren. Richtig verliebt ist er in seinen Husten.«
    »Es ist ernst, Gil … Der Arzt sagte …«
    »Ach, Ärzte! Sieh dir François dort an. – Komm, ich werd' ihn dir vorstellen.«
    »Nein. Bitte …«
    Zum erstenmal erschien ein Hauch Ernsthaftigkeit auf dem breiten Gesicht Legrands. Auch die Augen wurden nachdenklich, fast besorgt. Plötzlich schien er sich auch an ihren Namen zu entsinnen: »Jeanette, nicht wahr?« Langsam, fast zärtlich sprach er es aus. »Jeanette, mach dir keine Sorgen um ihn. Wir alle tragen unsere Krankheiten durchs Leben. Sieh dir François dort drüben an. Ihm sind in den Kerkern die Zähne aus dem Kiefer gefault, von den Lungen und den Därmen will ich gar nicht reden. Er spuckt, er seufzt, er röchelt – und singt noch immer. Und dazu noch wartet der Henker auf ihn. Ja, sieh ihn an … Welch ein Jammer, daß Alain nicht hier ist. Die beiden großen Dichter Frankreichs hier, bei mir im ›Blauen Schwan‹ – welche Gelegenheit, ihnen gemeinsam die Krone zu überreichen! Welcher Abend wäre es geworden!«
    Worte. Und kaum zu verstehen im Beifall, Gebrüll, Gelächter und Geschrei. Was bedeutete ihr der ›Blaue Schwan‹, was ging sie dieser Abend an? Sie mußte zurück. Und schnell, wenn sie Alain retten wollte. Was wußte schon ein Legrand?
    »Der Arzt sagte, Alain solle sofort in den Süden. Nur ein Klimawechsel könne ihm noch helfen.«
    »Ärzte … Komm mir nicht mit

Weitere Kostenlose Bücher