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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Ärzten. Quacksalber. Beutelschneider.«
    »Aber dieses Mal ist es die Wahrheit.«
    »Hm – vielleicht hast du recht.«
    »Gewiß ist es so. Doch wir haben kein Geld. Noch nicht einmal für die Reise. Und ihr sagtet doch, wenn ich ein Gedicht von Alain brächte …«
    Nun verschwand der letzte Rest eines Lächelns aus dem Gesicht. Die schweren Brauen rutschten in die Stirn, und der Blick wurde aufmerksam. »Hast du eines?«
    Jeanette nickte. »Er hat es für mich geschrieben …«
    »Ein Liebesgedicht?«
    »Ich weiß es nicht. Ich habe es noch nicht gelesen.«
    Sie wußte den Blick zu deuten. Kannst du überhaupt lesen, sagte er.
    »Egal für wen – ein Gedicht Chartiers.« Legrand schob den Umhang zur Seite. Darunter sah man Muskeln und Haut. Am Gürtel aber hing ein kleines Ledersäckchen. Er griff hinein. »Da! Nimm.«
    Sie spürte die runde, glatte Härte der Münzen in ihrer Hand. Sie brauchte gar nicht hinzusehen, schon das Gewicht sagte ihr: Das sind Dukaten.
    »Reicht das?«
    »Oh, sicher. O ja …« Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen. »Ihr seid ein guter Freund, Gil! Gott wird es Euch vergelten.«
    »Auf ihn ist kein Verlaß. Der hat meist andere Sorgen.«
    »Ich muß jetzt gehen. Sofort … Der Wagen wartet …«
    »Ach ja? – So wollt ihr euch verabschieden, Demoiselle?«
    Sie war verwirrt.
    »Wie sonst?«
    »Ohne Kuß? Ein Chartier wird selbst von Prinzessinnen geküßt. – Und ich?«
    Sie sah in diese blauen Augen, in denen ein Leuchten zu stehen schien, ein Leuchten, das ihr Herz füllte. Warum auch nicht? Sie legte ihm die Hände um die Schultern, ließ sich an ihn ziehen, und sie erwiderte den Druck seiner Lippen, lang, länger als ihr lieb war. So – ja so hatte nur Alain sie bisher geküßt …
    Dann aber wandte sich Jeanette um, hastete die Stufen hoch, hinaus in diesen sterbenden Tag, der schon in Dämmerung zerfloß. Sie wählte den einsamen Weg hinter dem Klosterfriedhof von Saint Denise, die Hand fest um ihre Beute geballt, das Gold, das Rettung verhieß. Sie fürchtete Diebe oder Wegelagerer, aber dort vorne kam schon die Île de France in Sicht, die mächtigen Rundtürme der Concierge, die Spitzen ihrer Kirchen. Nun die Brücke.
    Sie beschleunigte ihre Schritte, und nun umfing sie Lärm und Geschrei. Doch sie wußte nicht, wo sie ging, sie hörte ihre Absätze nicht in all dem Schieben und Gerenne, ihr Herz schlug: Laß den Gascogner noch hier sein, lieber Himmel! Laß, daß er auf mich wartet, ich komme – und dann, Alain, heute nacht noch packe ich die Truhe und den Koffer, und morgen, morgen sind wir schon unterwegs. Sonne wird dann um uns sein, die warme Luft des Südens, und dein Husten wird mit ihr verwehen, du wirst gesund, und wir werden glücklich werden und uns lieben …
    Alles für ein Gedicht.
    Nein, sie wußte nicht, was auf den Seiten stand, die Alains Feder beschrieben hatte …
    Ein Gedicht? Papier – was sonst? Mühselig war es für Jeanette, die Tochter des Schreibers von Saint Laurent, Schriften zu entziffern, Worte zu verstehen, die sich zu Versen formten, mühsam, ja, und gar nicht wichtig.
    Der Gascogner saß bereits auf seinem Bock, als Jeanette, rot im Gesicht und keuchend, am Chatelet eintraf. An der Sainte Chapelle, dann am alten Königsschloß vorbei und über den ganzen Pont du Change – sie war nur noch gerannt.
    Blaise fuchtelte mit der Peitsche: »Ich wollte schon losfahren. Ich sagte mir: Gib ihr noch eine Viertelstunde, aber nicht länger. Eine Viertelstunde länger, meine Schöne, und du wärst doch noch bei den Irren des Spitals gelandet.«
    »Dort war ich schon«, lachte Jeanette und ließ sich von ihm auf den Sitz helfen. »Wenn auch nicht bei denen vom Spital …«

VI
    Noch immer war's stockdunkel in der Kutsche. Draußen jedoch zeigten sich die ersten grauen Streifen Helligkeit. Die Räder quietschten langsamer, der Holzkasten schaukelte, der Weg immerhin schien besser zu werden. Quattroteste schnupperte: Heller Laubgeruch. Wald? – Der Schatten neben ihm rührte sich nicht, verschmolz mit den anderen Schatten in der Ecke. Nur den hellen Umriß einer Hand sah er auf den Knien, und ab und zu stieg in Quattrotestes Nase der süßherbe Mandelgeruch eines Parfums.
    Ein Herr. Und was für einer! – In solchen Situationen wird meist viel zuviel geredet, da werden Erklärungen gegeben, die niemand hören will, oder Fragen gestellt, auf die keiner die Wahrheit sagen würde, solange er noch seine fünf Sinne beieinander hat.
    Der Schatten
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