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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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jedoch?
    »Quattroteste«, hatte er gesagt, als der Diener am Wegkreuz die Tür aufriß und ihn in die Kutsche schob. »Gut, dich zu sehen.«
    Nicht auf französisch hatte er dies gesagt, auf italienisch, in Quattrotestes Heimatsprache: »Che bene di vederti …«
    Und noch ein Satz fiel: »Ich habe beschlossen, den Lohn zu verdoppeln.«
    Und das war alles. Seither fiel kein Wort. Dabei fuhren sie schon eine Stunde, und die Dämmerung schob bereits den Vorhang der Nacht zur Seite und kündete den Tag an. Für diese Sorte Arbeit jedoch war nichts wichtiger als der Schutz der Dunkelheit.
    Quattroteste strich mit den Fingern über das linke Ohr, besser, über das bißchen verknorpelte Fleisch, das sich dort, wo sich einst das linke Ohr befand, an seinem schmalen Schädel noch hielt. Dem Scharfrichter verdankte er die Verstümmelung nicht. Er war kein Dieb. Außerdem, für den Auftrag, den er zu erledigen hatte, waren bei Entdeckung ganz andere Strafen vorgesehen. Da wartete weder Strick noch Henkerbeil, da gab es so schöne Dinge wie aufs Rad geflochten zu werden oder das Aufschlitzen und Vierteilen bei lebendigem Leib.
    Nun – ihm konnte das nicht passieren. Niemals.
    Dennoch war die Haut am verstümmelten Ohr brennendheiß geworden. Sie prickelte. Das war kein gutes Vorzeichen. Zart strichen Quattrotestes Fingerspitzen darüber. Sie beruhigte sich nicht.
    Ave Maria hilf! – Quattroteste stammte aus einem gottverlassenen Tal in den Tessiner Bergen. Dort wurde viel gebetet. Gordevio, so hieß der Ort, in dem seine Geschwister noch immer hungerten. – Schweizer Söldner, Reisläufer, die sich an den ewigen Händeln der italienischen Stadtstaaten eine goldene Nase verdienten und auf keinen der Kriege verzichten wollten, die die italienischen Fürsten unter sich führten, riesige, blonde, stiernackige Kerle, mit allen Regeln der Kriegskunst vertraut, hatten damals an dem vierzehnjährigen Jungen Gefallen gefunden und ihn mitgenommen. Zunächst als Pferdeknecht, dann als Mitbruder, als Soldat und Spießgesellen.
    Vor Ferrara, beim Kampf gegen die Regimenter des Herzogs d'Esté hatte es ihn zum erstenmal am Kopf erwischt. Das Kriegsbeil eines Hauptmanns spaltete seinen Helm und hinterließ die dicke Narbe, die sich vom Schädel weit in Quattrotestes Stirne zog. Vor Mailand war's dann ein Armbrustbolzen, der ihm das Ohr halb vom Kopf riß, so daß der Feldscher Mühe hatte, ihm die kümmerlichen Reste zusammenzunähen.
    »Na und?« hatte er gelacht. »Und sei's der ganze Kopf. Was macht es mir? Da wächst ein neuer nach. Denn ich habe deren vier.«
    Seitdem trug er den Namen ›Quattroteste‹.
    Nach Italien focht er mit seinen Schweizer Freunden als Söldner für die Kompanien, die auf französischem Boden dafür bezahlt wurden, die Engländer auseinanderzujagen. Und dort lernte Quattroteste, daß, trotz aller Beute und allen Plünderungsgewinns, der höchste Lohn des Kriegshandwerks nicht der Truppe, sondern dem Einzelkämpfer bestimmt ist. Kaum einen gab's, der so gewandt zu fechten wußte. Doch seit es ihm gelungen war, Lord Arlington in einem schwerbewachten Loire-Schloß, dazu noch im Bett seiner französischen Mätresse, mit einem Stich in die Hölle zu schicken, erhielt er endlich die richtigen Aufträge.
    Quattroteste hatte seinen wahren Beruf gefunden: Den des gedungenen Mörders.
    »Ich hab' mich entschlossen, deinen Lohn zu verdoppeln.« Erneut schielte er zu dem Schatten in der Ecke.
    Dabei war ihm in seiner ganzen Laufbahn noch nie so viel Gold in Aussicht gestellt worden. Nun aber sollte er das zweifache erhalten? Endlich schien also Wirklichkeit zu werden, was er sich die ganzen Jahre erträumt hatte: Der letzte Auftrag … Nicht mehr den Schatten des Henkers fürchten zu müssen, nein, zurück nach Hause, durch die Schweiz und dann ins Tal …
    Der See würde ihm schon vom Gotthard her entgegenlachen, in einer Kutsche würde er fahren wie ein feiner Herr: Bellinzona, Locarno, Minusio – ja und dort würde er zum erstenmal nach sechzehn Jahren den Fluß wieder sehen, seine geliebte Maggia. Ihrem Rauschen entlang hinauf nach Gordevio! Ach, er sah das Dorf vor sich, die grauen Häuser, aneinandergedrückt wie eine ängstliche Ziegenherde im Schutz der hohen Wand. Die Gärten eingefaßt von ihren Steinquadern. Die Häuser unter der Last der Steindächer. Der Kutscher würde ihm die Koffer abladen, und er, in seinem feinsten Anzug, würde unter der alten Dorf-Kastanie stehen und sich umsehen und die Luft des
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