Stadt der Lügen
ist ungefähr klar, warum Greg Warren mitgespielt hat, und Caspar – nun, Caspar ist einfach ein mitfühlender Mensch. Aber warum Lars Hanssen? Welche Bedeutung hätte es für ihn gehabt, ob ein ihm völlig unbekannter Produzent glücklich stirbt oder nicht?«
Sie zögerte mit der Antwort, entschloss sich aber dann doch zu sprechen. »Willst du die Wahrheit hören? Dumme Frage, natürlich willst du. Nun gut. Hanssen bekam Wind von der Geschichte und hielt sie für eine geniale Filmidee. Unter der Voraussetzung, dass ihm das Studio die Weiterentwicklung des Stoffs garantierte, spielte er mit. Mike schreibt bereits an einem Drehbuchentwurf über einen Mann, der nicht weiß, dass er dem Tod geweiht ist.«
Stumm blickte Artie in die Nacht hinaus. Ein Hubschrauber flog mit dumpfem Getöse über das Haus hinweg.
»Artie? Bist du noch dran?« Mit einem Mal klang ihre Stimme sehr nah und innig in seinem Ohr.
»Ja, ich bin noch dran. Ich habe nur gerade nachgedacht … Ist dieses Geschäft nicht einmalig?«
»Artie, wenn ich es jetzt wage, einem alten Hasen wie dir einen Rat zu geben, dann nur, weil ich einen Satz zitieren will, den du mir vor vielen Jahren mit auf den Weg gegeben hast. Erinnerst du dich, wie ich unbedingt ins Geschäft einsteigen wollte? Mama war nicht sehr glücklich über diese Idee, aber du und ich haben lange miteinander gesprochen, und dann sagtest du: ›Wenn dein Entschluss wirklich feststeht, mein Mädchen, dann lass dich nicht davon abbringen. Aber denk immer daran: Die Stunden werden dir oft lang erscheinen, doch auf alle Fälle ist es besser als Arbeit.‹«
Seit er vierzig geworden war, hatte sich Ted Long gefragt, wann wohl die Midlife-Crisis bei ihm einsetzen würde. Schon fünf Jahre zuvor hatte er die ersten Anzeichen dafür bei einigen Freunden wahrgenommen – oder ihre in der Jugend begangenen Fehler hatten sich bitterlich gerächt. Zum Beispiel bei Dan und Harry: Beide hatten aus Gründen geheiratet, die Ted nicht für richtig hielt – Dan aus sinnlicher Begierde, Harry des Geldes wegen. Natürlich waren beide Verbindungen nach einiger Zeit gescheitert. Vielleicht gab es für die so genannte Krise gar keinen anderen Grund, als dass mit der Zeit zwangsläufig Tatsachen ans Tageslicht traten, vor denen man zuvor die Augen verschlossen hatte.
Ted konnte nicht von sich behaupten, aus seinem Leben etwas ganz Besonderes gemacht zu haben, aber hier und da hatte er wirklich gute Entscheidungen getroffen. Er liebte Linda auf eine Weise, die mit den Jahren – falls überhaupt möglich – immer inniger geworden war. Er fand sie jetzt und nach vier Kindern noch genauso attraktiv wie an jenem ersten Abend vor zwanzig Jahren, als er sie auf Greenbaums Bowlingbahn kennen gelernt hatte. Sie sah bestimmt zehn Jahre jünger aus, als sie tatsächlich war – zumindest war das bis vor vier Tagen der Fall gewesen. Jetzt saß sie neben seinem Bett im Krankenhaus, hielt seine Hand und blickte ihn mit erschrockenen Augen an, unter denen dunkle Schatten lagen.
»Wie hieß der Mann?«, fragte Ted.
»Fleischman. Arthur Fleischman.«
»Ich will niemanden sehen.«
»Klar. Kann ich verstehen.«
»Was will er denn von mir?«
Linda zuckte die Schultern. Ihr leerer Blick wanderte am Bett entlang zu den seitlich aufgebauten Monitoren, ohne wirklich etwas zu sehen. »Ich weiß es nicht. Ich habe dir nur das gesagt, was er mir gesagt hat – nämlich, dass er dich gerne besuchen möchte.«
Tatsächlich hatte der Mann im kostspielig aussehenden Anzug zunächst angerufen und sie später zu Hause besucht. Er war fast eine Stunde geblieben und hatte sie sehr freundlich nach der gesamten Familie ausgefragt. Artie hatte dabei sehr wohl bemerkt, dass sie kaum etwas um sich herum wahrnahm. Sein Herz zog sich vor Mitleid zusammen. Die drei Kinder, die noch im Haus wohnten, waren in der Schule gewesen. Er hatte ihrer sanften Stimme gelauscht, die sich über den ungezwungenen Lärm der Vorstadtsiedlung zu erheben versuchte.
»Er schien ziemlich nett zu sein«, sagte Linda. Mühsam versuchte sie, sich an die Unterhaltung zu erinnern. Es erschien ihr seltsam, dass sie dazu nicht in der Lage war. Ted machte sich schreckliche Sorgen um sie. Wie man es auch drehte und wendete, die ganze Sache war für Linda viel schlimmer als für ihn selbst. Er fühlte sich noch nicht einmal wirklich krank. Vielleicht ein wenig schwach, aber das war auch schon alles. Die Ärzte hatten ihm erklärt, dass es schnell gehen würde,
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