Stadt der Lügen
vorstellen.«
»Hör mir mal zu, Alan«, sagte ich, beugte mich vor und streckte ihm meine Hand entgegen, ohne ihn allerdings zu berühren. »Wir werden dir helfen. Wir bekommen dich frei. Wir tun das, was wir tun müssen, aber wir werden einen Weg finden …«
»Nein!« Er sprang so unvermutet aus seinem Sessel auf, dass ich mich duckte und meinen Arm schützend über den Kopf hielt. Als er lachte, wusste ich, dass nun wieder Clay vor mir stand.
»Blödmann!«, feixte er und warf mir einen drohenden Blick zu. »Was glaubst du schon, was ihr tun könnt, Schmierfink? Du und dieser dämliche Schauspieler! Euch beide kann man doch locker in der Pfeife rauchen!«
Er packte meinen Pullover und zerrte mich vom Sofa hoch. Ich dachte an den Wagenheber, der draußen auf der Terrasse lag und sah mich nach einem Ersatz um. Doch ich fand nichts. Gerade, als ich mich darauf einrichtete, mit ihm zu kämpfen, erkannte ich am erschrockenen Ausdruck seiner Augen, dass seine Identität wieder wechselte. Er ließ mich los, und ich fiel zurück auf das weiche Sofa, wo ich wie ein Fisch auf dem Trockenen zwischen den Polstern zappelte. Er griff nach seinem Kopf, als müsse er seinen Schädel vor einem schrecklichen, von innen kommenden Druck schützen. Und dann schrie er. Es war ein furchtbarer Laut – wie von einem in einer Falle gefangenen Tier.
»Nein! Nein! Nein! Hör auf!« Es war Alans Stimme. Er drehte sich um und rannte in die Dunkelheit. Bis ich mich auf die Füße gerappelt hatte, war er verschwunden.
Irgendwo wurde eine Tür zugeschlagen, und ich folgte dem Geräusch. Als frischgebackener, stolzer Hausbesitzer hatte er Claire und mich erst vor ein paar Monaten hier herumgeführt. Ich konnte mich zwar nicht in allen Einzelheiten erinnern, aber ich hatte eine ungefähre Vorstellung, was sich wo befand. Die Tür zum Schlafzimmer stand offen. Drinnen brannte Licht. Ich ging hinein. Eine Wand bestand fast vollständig aus Glas und ging auf eine Holzterrasse hinaus. Zwei Türen führten in ein Bad und ein Ankleidezimmer. Aus dem unbeleuchteten Ankleidezimmer drang Lärm. Ich ging dem Geräusch nach. Dabei stolperte ich über etwas, was er auf seiner blindwütigen Flucht hinuntergeworfen hatte. Irgendwo ging ein Licht an und beleuchtete einen Flur, der nach rechts abbog. Mir fiel ein, dass es dort zu dem Fitnessraum ging, den er sich hatte einbauen lassen. Wieder war das Geräusch zu hören. Es klang schwer und metallisch. Als ich den Fitnessraum erreichte, sah ich gerade noch, wie am entgegengesetzten Ende eine Tür zuging. Eine Liege zum Bankdrücken lag auf der Seite. Auf dem Boden rollten Hanteln.
Ich wusste, dass die gegenüberliegende Tür zu einem Vorratsraum führte, aus dem es keinen Weg nach draußen gab. Ich drückte die Klinke runter, doch die Tür war abgeschlossen. Ich polterte dagegen und rief seinen Namen: »Alan, schließ auf! Hör zu, mach bloß keine Dummheit!«
Ich weiß bis heute nicht, warum ich das mit der Dummheit sagte. Vielleicht lag es an dem tierartigen Schrei, den er im Wohnzimmer ausgestoßen hatte. Für einen solchen Schmerz gab es nur einen Ausweg.
»Alan!«, brüllte ich und warf mich mit der Schulter gegen die Tür, die beinahe aus den Angeln sprang. Ich versuchte es erneut. Diesmal trat ich mit dem Absatz auf das Schloss ein. Es gab ein splitterndes Geräusch, dann ging die Tür auf. Im Halbdunkel stand Alan. Er blickte mir entgegen und hob den Arm, was ich einen absurden Augenblick lang für einen Nazigruß hielt. Dann erkannte ich, dass er eine Pistole auf mich richtete.
Ich wich zurück. Er folgte mir in den hell erleuchteten Fitnessraum, der mit glänzendem Chrom und schwarzem Leder ausgestattet war. Verspiegelte Wände reflektierten uns in die Unendlichkeit. Ich fühlte mich wie im letzten Akt des Orson-Welles-Streifens Die Lady von Shanghai.
In dem Moment, als mir der Gedanke kam, trat ich auf eine Hantel und fiel unter großem Getöse auf den Rücken. Er begann zu lachen. Es war Clays Lachen.
»Du hast nicht das Zeug zum Action-Helden, Schmierfink. Hör auf meinen Rat und bleib bei deiner Schreibmaschine.«
»Ich benutze keine Schreibmaschine«, entgegnete ich kalt und stand mit größtmöglicher Würde auf. »Gerade du solltest das wissen.«
»Das war doch nur eine Redensart, Schmierfink«, antwortete er, wobei er mich weiterhin amüsiert beobachtete. »Redensarten sollte man nicht auf die Goldwaage legen. Gerade du solltest das wissen.«
Ich überhörte seinen Sarkasmus,
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