Stadt der Lüste
Mitte fünfzig kam Emma entgegen, um sie zu begrüßen. Sie trug ein elegantes marineblaues Kostüm und hatte ihr Haar zu einem straffen Knoten frisiert.
»Ich bin Elaine Rayner. Willkommen.«
Nachdem die üblichen Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht worden waren, erzählten die Rayners Emma, dass ihnen das Haus von Lomax vermittelt worden war, dass John Rayner es eingerichtet hatte und es sowohl ein Sprechzimmer für Elaine als auch ein Büro für John beherbergte.
»Ah, da ist er ja!«, rief Elaine und unterbrach John mitten im Satz. »Matthew, das ist Emma Fox von der Immobilienfirma.«
»Lomax«, warf Emma ein.
Sie schüttelte Matthew die Hand und fror den Moment gedanklich ein, um den Sohn der Rayners in Ruhe zu betrachten. Er war wunderschön. Mit dem Wort warf man meist sehr leichtfertig um sich, und eher in Bezug auf Frauen als auf Männer. Aber dieser junge Mann besaß tatsächlich eine besondere Schönheit, die allerdings weder eindeutig feminin noch maskulin war. Er war groß, genau wie seine Eltern, und hatte von beiden offenbar nur das Beste geerbt. Die Augenbrauen und das eher längliche Gesicht hatte er von seiner Mutter, doch seine Stirn war breit und hoch wie die seines Vaters. Er trug eine weit geschnittene graue Jeans, ein enges T-Shirt und darüber ein grünkariertes Hemd.
Nach den wenigen Sekunden, in denen Emma seineHand gehalten hatte, fehlten ihr einen Moment lang die Worte. Sein Blick begegnete ihrem, und seine Augen verengten sich kaum merklich, als wollte er ihr auf diese Weise etwas mitteilen.
John Rayner riss sie aus ihren Gedanken. »Man sagte uns, dass Sie sich mit diesen Lagerhallen auskennen und uns einige Details zeigen könnten.«
Die Rayners nahmen auf einem Sofa mit goldenen Stickornamenten und schweren roten Samtkissen Platz. Emma setzte sich auf einen Sessel ihnen gegenüber und rutschte so nah wie möglich an den Glastisch heran, der sie von den Rayners trennte. Matthew ließ sich auf einem Hocker nieder, den er herbeigezogen hatte, stützte die Ellbogen auf die Knie und wandte ihr den Kopf zu.
»Matthew, möchte Miss Fox Kaffee?«, fragte ihn seine Mutter.
Er sah Emma an. »Möchten Sie Kaffee?«
»Sehr gern. Mit Milch, ohne Zucker.«
Emma fragte sich, warum Elaine Rayner ihren Sohn als Vermittler benutzte. Dann ging sie auf John Rayners Kommentar ein.
»Als Lagerhallen würde ich Lofts nicht unbedingt bezeichnen. Sie werden seit einiger Zeit immer beliebter, es gibt regelrecht einen Trend. Im Grunde ist ein Loft ein Penthouse ohne Wände.«
John Rayner lachte leise, und Emma fiel mit ein. Dann sagte er plötzlich: »Eigentlich gibt es keinen Grund, warum er ausziehen sollte.«
»Mein Mann möchte nicht, dass Matthew uns verlässt«, erklärte Mrs. Rayner.
»Wir haben hier doch mehr als genug Platz«, fuhr ihr Mann fort.
»Ja, John, räumlich gesehen hast du recht, es gibt genug Platz. Aber darüber haben wir doch schon mehr als ein Gespräch geführt.«
John Rayner wandte sich an Emma und tat so, als wolle er ihr ein Geheimnis verraten. »Elaine nennt es nur aus Rücksicht auf Sie ein Gespräch. In Wahrheit haben wir uns ziemlich in die Wolle gekriegt. Und zwar auch schon mehr als ein Mal.«
Emma war klar, dass die beiden keinen echten Groll gegeneinander hegten. John Rayner zog ein Zigarettenetui aus der Jacketttasche und zündete sich mit einem Feuerzeug, das wie ein kleiner Goldbarren aussah, eine Zigarette an. Er fragte Emma weder, ob sie etwas dagegen hatte, noch, ob sie auch eine Zigarette wollte.
»Für einen der Lofts können wir Ihnen einen Kurzzeitmietvertrag über drei Monate anbieten, verlängerbar für insgesamt bis zu einem Jahr. In diesem Fall müssten Sie sich also nicht lange binden«, sagte Emma.
Matthew kehrte mit einem Tablett zurück. Während seiner Abwesenheit hatte Emma praktisch den Atem angehalten. Der kurze Blick, den sie an ihrem ersten Arbeitstag bei Lomax auf ihn geworfen hatte, war ihr die ganze Woche über nicht aus dem Kopf gegangen. Im Vorfeld der Besprechung hatte sie ihn lediglich als angenehmes Beiwerk zu den Vertragsverhandlungen betrachtet, doch jetzt begriff sie, welche Anziehungskraft er bereits auf sie ausübte. Seine Anwesenheit veränderte die Atmosphäre des ganzen Raumes. Emmabefürchtete, dass seine Mutter etwas davon bemerken würde, denn Elaine Rayner schien sie mit einer Mischung aus psychologischem und mütterlichem Interesse zu beobachten.
»Haben Sie Informationen zu den Wohnungen mitgebracht?«, fragte
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