Stadt der Lüste
Blick auf die Schreibtische. Einige der Mitarbeiter hatten ihre Arbeitsplätze vor dem Feierabend säuberlich aufgeräumt, genau wie sie selbst es immer tat. Dominic Lesters Tischplatte aus Nussbaumholz blitzte geradezu. Nur Eds Schreibtisch sah aus wie ein Schlachtfeld. Mit ihrer Aktentasche in der Hand ging Emma an der kleinen, von den Putzfrauen gründlich gesäuberten Küche vorbei.
Ihr Hauptinteresse galt drei Computern, die eine eigene Festplatte hatten, anstatt wie die anderen nur auf den gemeinsamen Server zuzugreifen. Emma schaltete die drei Rechner ein. Nachdem sie den dritten angeschaltet hatte, ging sie zurück zum ersten, der bis dahin hochgefahren war. Niemand bei Lomax kannte sich so gut mit Computern aus wie Emma. Das Netzwerk war für eine Unsumme von einem professionellen Techniker eingerichtet worden, der laut Catherine mit dem exklusivsten Mercedes vorgefahren war, den sie jemals gesehen hatte. Die Ordner auf den persönlichen Laufwerken waren jedoch ziemlich amateurhaft organisiert. Würde Emma einen Betrug planen, wäre ihr Bürocomputer der letzte Ort, an dem sie Informationen abspeichern würde, aber manchen Leuten war jede Dämlichkeit zuzutrauen.
Ihre Suche ergab allerdings nichts, also schaltete sie die drei Computer wieder aus.
Emma betrat Catherines Büro und stellte die Jalousie des Innenfensters so ein, dass sie selbst hindurchsehen konnte, von außen aber nicht zu sehen war. Sie setzte sich an den PC, schaltete ihn ein und wartete ungeduldig, bis er hochgefahren war. Dann loggte siesich mit ihrem eigenen Namen und Passwort in das Netzwerk ein. Damit ging sie zwar das Risiko ein, dass jemand ihrer Spionageaktion auf die Schliche kam, doch sie bezweifelte, dass irgendjemand bei Lomax eine Systemadministratordatei überprüfen würde. Dar über hinaus würde ihr in ein paar Tagen die Hälfte der Agentur gehören, und sie konnte tun und lassen, was sie wollte.
Da innerhalb des Netzwerks kein Bereich gesperrt war, hatte Emma Zugriff auf jede einzelne Datei der anderen Mitarbeiter. Das war zwar nicht unbedingt Sinn und Zweck eines offenen Systems, andererseits sollte bei Lomax eigentlich niemand etwas zu verbergen haben. Dank der Informationen von Tom wusste sie genau, wonach sie suchte und in wessen Verzeichnis sie danach suchen musste. Sie bezweifelte jedoch, dass sie auf diesem Wege viel erreichen würde. Es hätte sie wirklich überrascht, wenn jemand derart deutliche Spuren hinterließ.
Nachdem sich Emma durch eine Vielzahl von Textdateien geklickt hatte, bestätigte sich ihre Vermutung. Sie fand nichts, außer einem Eintrag in den Protokollen der Urlaubs- und Krankmeldungen. Sie wechselte zu den Tabellenkalkulationen und prüfte sie eingehend. Drei von ihnen waren durch Passwörter geschützt und trugen nichtssagende Dateinamen. In diesem Fall konnten auch Emmas Computerkenntnisse nichts ausrichten. Das Netzwerk war ein kühnerer Versuch gewesen als die persönlichen Laufwerke, doch das Ergebnis fiel leider ebenso enttäuschend aus.
Die Eingangstür von Lomax öffnete sich. Es war kurzvor halb neun. Emma hatte Catherine am Abend zuvor telefonisch gebeten, jemanden anzurufen und ihm mitzuteilen, dass er an diesem Morgen ein wenig früher kommen sollte als sonst.
Emma erhob sich und beobachtete ihn durch die Jalousie. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und fuhr den Computer hoch. Emma wartete, bis er sich eingeloggt hatte. Dann trat sie wieder an Catherines Computer und schrieb eine Nachricht, die direkt auf seinem Bildschirm erscheinen würde:
Du weißt vielleicht, wer ich bin, aber du weißt nicht, wo ich bin …
Emma ging um den Schreibtisch herum zum Innenfenster, damit sie seine Reaktion besser beobachten konnte, streckte dann die Hand nach der Tastatur aus und schickte die Nachricht ab.
Als sie von einem deutlich hörbaren Piepen begleitet auf seinem Monitor erschien, zuckte er förmlich zusammen. Emma lächelte. Er blickte sich erschrocken und verwirrt um. Dann stand er auf, zappelte nervös herum und fuhr mit den Fingerspitzen über seine Schreibtischplatte. Emma holte zwei Blatt Papier aus ihrer Aktenmappe und betrat das Großraumbüro.
»Guten Morgen«, sagte sie in sarkastischem Tonfall.
»Hi«, erwiderte er lahm.
Emma faltete den anonymen Brief auseinander, den sie nach ihrer Rückkehr aus den USA erhalten hatte, und reichte ihn Ian Cameron.
»Was ist das?«, fragte Ian.
Emma machte sich gar nicht erst die Mühe, ihm zu antworten, sondern starrte ihn nur mit
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