Stadt der Masken strava1
ihr, verboten ihr aber auch nicht den jährlichen Besuch der Messe in Santa Maddalena. Die gesamte Familie ruderte früh am Morgen nach Bellezza hinüber und machte ihr Boot genau wie viele andere Lagunenbewohner an der Piazzetta fest.
Im Inneren des dämmrigen Doms ließ Arianna den Blick zu der Empore hinaufwandern, die zur Loggia degli Arieti führte, dem Altan mit den Widdern, wo sie die vorletzte Nacht so ungemütlich zugebracht hatte. Eine Gestalt in brauner Robe fiel ihr ins Auge, auf einem der vielen hölzernen Stege, die dicht unter dem Kuppelgewölbe des Doms kreuz und quer angebracht waren. Sie erinnerte sich, dass sie in jener Nacht genau dieselbe Gestalt gesehen hatte – oder eine, die genauso aussah. Der Mann war ihr vorgestern, als sie nur an ihren Plan gedacht hatte, kaum aufgefallen. Doch jetzt, beim dumpfen Ableiern der Liturgie um sie herum, hatte sie Zeit zum Nachdenken. Warum war zu dem Zeitpunkt ein Mönch im Dom gewesen, warum war er nicht draußen gewesen, um wie jedermann das Feuerwerk anzusehen?
Jeder in Bellezza schenkte öffentlichen Zeremonien und Feiern mehr Aufmerksamkeit als der Religion, selbst Priester und Mönche. In der Lagune stand Tradition ganz vorne. Tradition und Aberglaube. Deshalb war ihre Familie heute auch hier, denn traditionsgemäß ließen alle Inselbewohner ihre heimischen Kirchen links liegen, selbst die ganz besondere auf Torrone, und kamen am Sonntag nach der Vermählung mit dem Meer zur Messe in die Heilige Basilika Santa Maddalena.
Die Duchessa saß höchstpersönlich weithin sichtbar in der ersten Reihe, schlank wie eine junge Braut, ganz in Weiß gekleidet, mit einer silbernen Maske in Form eines Katzengesichts.
Arianna hatte in jedem ihrer fünfzehn Lebensjahre daran teilgenommen und es war immer genau gleich abgelaufen. Doch heute gab es einen Unterschied. Als sie die Kirche verließen, führten ihre Eltern sie von der Piazzetta weg in die kleinen Gassen, die nördlich des großen Platzes lagen.
»Wir besuchen deine Tante Leonora«, war die einzige Erklärung, die sie bekam.
Sie gelangten zu dem Haus von Gianfrancos Schwägerin, hinter dem Campo San Sulien. Arianna hatte es immer sehr gerne besucht, sie liebte den Garten mit seinem Marmorbrunnen, den man eigentlich nicht erwartete. Wasser im Herzen der Stadt, die von Wasser umgeben war, bedeutete immer eine Überraschung.
Aber der Besuch sollte diesmal wohl keine frohe Überraschung sein.
Leonora bat sie herzlich ins Haus und schenkte ihnen Rotwein ein. Trotzdem, die Atmosphäre war angespannt. Ariannas Brüder saßen nervös auf den Kanten von Leonoras zierlichen vergoldeten Stühlen. Gianfranco räusperte sich.
»Da du dich nicht nur uns widersetzt hast, sondern auch den Gesetzen der Stadt, Arianna«, sagte er, »und dich in Gefahr gebracht und uns außerdem große Sorgen gemacht hast, haben wir deine Tante gebeten, dich eine Weile bei sich aufzunehmen. Das wird dir den Hang nach Bellezza vielleicht endlich austreiben.
Vielleicht lernst du dein Zuhause schätzen. Denn wenn es auch nicht aufregend ist, bietet es doch Sicherheit und ist voller Menschen, die dich lieben.«
Nach dieser Rede, die für seine Verhältnisse lang gewesen war, putzte er sich die Nase und Arianna hatte das Bedürfnis, ihm die Arme um den Hals zu schlingen.
Doch sie war zu verblüfft, um sich zu rühren. Was war denn das für eine Strafe?
Das war doch so, als würde man ein Kind, das Marzipan stibitzte, eine ganze Woche lang zu einem Zuckerbäcker stecken! Arianna kannte Leonora nicht sehr gut und ihre Tante hatte auch keine Kinder. Aber ihr Mann, Gianfrancos älterer Bruder, war vor einigen Jahren gestorben und hatte ihr sein nicht unerhebliches Vermögen hinterlassen, das er mit dem Verkauf von Andenken an auswärtige Besucher verdient hatte. Das Haus war daher bequem und Leonora selbst war freundlich. Und sie wohnte in Bellezza! Arianna wusste, dass sie gut davongekommen war.
Als sich ihre Eltern und Brüder dann allerdings verabschiedeten, sammelten sich hartnäckige Tränen in ihren Augen. Sosehr sie das Leben auf Torrone mit seinen wenigen Menschen und noch weniger Abenteuern auch anödete, stieg doch jetzt schon heißes Heimweh in ihr auf. Sie klammerte sich an ihre Mutter und bat um Verzeihung.
Lucien wachte in dem harten, schmalen Bett auf und sah, wie das Sonnenlicht durchs Fenster strömte. Er schaute hinaus und entdeckte einen grünen Kanal unter dem leuchtend blauen Himmel.
Er war wieder zurück. Es schien
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