Stadt der Masken strava1
Freude wieder vorgefunden hatte.
»Ich wusste nicht, wer kommen würde«, sagte Rodolfo. »Aber als ich dich in der Scuola Mandoliera sah, wusste ich, dass du es bist.«
»Ich habe Sie dort gar nicht gesehen«, sagte Lucien.
»Man konnte mich auch nicht sehen«, erwiderte Rodolfo schlicht.
Er erhob sich und lud Lucien mit einer Bewegung ein ihm in eine dunkle Ecke des Zimmers zu folgen, wo ein silberner Brokatvorhang an der Wand hing. Als Rodolfo ihn zur Seite zog, war sich Lucien zunächst nicht sicher, was er da vor Augen hatte. Er hätte gesagt, dass es ein Pult mit Monitoren sei, nur dass das so modern klang. Und das hier war alles andere als modern.
Sechs kleine Spiegel, schmuck eingefasst in Rahmen, die nach Ebenholz aussahen, zeigten Szenen, die sich bewegten und von denen Lucien einige wieder erkannte. Da war die Scuola und die Piazza, auf der er Arianna das erste Mal getroffen hatte, dann möglicherweise das Innere einer großen Kirche und noch drei weitere Schauplätze – alles üppig ausgestattete Zimmer, die er nicht kannte, die jedoch offensichtlich bellezanisch waren.
Unter den Spiegeln befand sich eine verwirrende Ansammlung geriffelter Knöpfe und Messinghebel, jeweils versehen mit Symbolen, die nach den Sternkreiszeichen aussahen, wenn einige davon Lucien auch unbekannt waren. Er versuchte erst gar nicht zu begreifen. Es war wirklich leichter, sich wieder darauf zurückzuziehen, dass Bellezza doch nur ein Traum war.
Rodolfo deutete auf den Spiegel, der die Scuola Mandoliera zeigte, und Lucien verstand, wie er ihn am Tag zuvor entdeckt hatte. Und während Lucien noch voller Faszination hinschaute, sah er, wie eine winzige Mandola ins Bild glitt. Eine elegante, winzige Gestalt stieg leichtfüßig aus und betrat unter eifrigen Verbeugungen und Kratzfüßen einiger Uniformierter die Schule.
»Ist das die Duchessa?«, fragte Lucien.
»Sie ist gekommen, um ihre neuen Rekruten zu begutachten«, sagte Rodolfo.
»Sie wird sich fragen, was mit dir geschehen ist.«
»Spieglein, Spieglein an der Wand«, sagte Lucien, doch Rodolfo schien nicht zu verstehen.
»Zauberei«, bemerkte Lucien.
»Keineswegs«, entgegnete Rodolfo mit angewidertem Ausdruck. »Wissenschaft.«
»So haben Sie mich also entdeckt«, stellte Lucien fest. »Aber woher wussten Sie, dass ich derjenige bin, den Sie erwartet haben? Weil ich nicht wie ein Bellezzaner aussehe?«
Rodolfo sah ihm forschend ins Gesicht. »Du weißt es also wirklich nicht?«, fragte er. »Komm mit und ich zeige dir etwas.«
Er strebte dem tiefen Fenster zu, öffnete einen Flügel und schwang seine langen Beine über den Sims. Lucien erschrak, bis er feststellte, dass sich eine Art Dachgarten dahinter befand. Rodolfo winkte ihm zu und der Junge folgte.
Es war eine Oase im Herzen der Stadt. Doch Lucien merkte sofort, dass der Garten mehr Platz einnahm, als eigentlich möglich gewesen wäre. Er bedeckte eine viel größere Fläche als das Dach dieses Gebäudes hergab. Er erstreckte sich bis in die Ferne und Lucien hatte den Eindruck, am Ende ein paar Pfauen zu sehen.
Riesige Tröge enthielten ausgewachsene Bäume und überall waren Blumen, die die Luft mit schwerem Duft erfüllten. In der Mitte des Dachgartens plätscherte ein Brunnen – auch wieder Wissenschaft, dachte Lucien. Der größte Teil des Gartens war beschattet und zwischen zwei Orangenbäumen schaukelte sogar eine Hängematte. Nahe der steinernen Balustrade, die ihn umschloss, brannte die Sonne jedoch auf eine geflieste Terrasse.
Rodolfo stand im Sonnenschein und wartete auf ihn. Als Lucien zu ihm trat, nahm er ihn sanft bei den Schultern und bedeutete ihm hinabzuschauen.
»Was siehst du da?«, fragte er.
Erst sah Lucien durch die Balustrade auf die unglaubliche Schönheit Bellezzas, deren silberne Kuppeln und Glockentürme sich gleißend von dem blauen Himmel abhoben, doch das meinte Rodolfo nicht. Er richtete Luciens Blick auf die Fliesen mit ihrem kunstvollen astronomischen Muster. Genau die Art von Garten, die man bei einem Zauberer vermuten würde, dachte Lucien.
Und dann entdeckte er, was er sehen sollte. Zu ihren Füßen war nur eine einzige schwarze menschliche Silhouette zu sehen.
»Ich habe auf eine Person ohne Schatten gewartet.«
Kapitel 4
Die Stravaganti
Die Zeit auf dem Dachgarten schien stehen geblieben zu sein. Oder hatte sich zumindest zu einem zähen Sickern verlangsamt. Lucien starrte immer noch auf die Stelle, wo sein Schatten hätte sein müssen. Rodolfo war
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