Stadt der Masken strava1
die Menge erfasst hatte – der Bewegung, die er mit erschaffen hatte –, entging ihm, dass die Staatsmandola durch das Wasser davonglitt. Ebenso entging ihm die dunkle Gestalt, die gegenüber vom Mandolier am anderen Ende des Bootes kauerte. Er sah nur, dass Rodolfo Recht gehabt hatte. Als die letzten flimmernden Regenbogenstrahlen ins Wasser zu tropfen schienen, fingen die Bellezzaner an in den Kanal zu springen.
Lucien wurde wie von einem Wahn erfasst. Er wusste, dass er kein Silber mit in seine Welt nehmen konnte, selbst wenn er welches finden würde. Er wusste auch, dass er jetzt gehen musste, dass er vor dem Fest die Zeitreise nach Hause antreten sollte. Doch in diesem Moment war er mit Haut und Haaren ein Bellezzaner. Aus den Augenwinkeln hatte er erspäht, wo eine Garbe des vielfarbenen Haars der Maddalena versunken war. Er überlegte nicht länger und tauchte in den Kanal.
»Ausgezeichnet«, murmelte die Duchessa. Sie spürte, wie sich die Mandola unter ihr bewegte, während die Heilige sich auflöste und nur noch der Mond die jubeln-de Stadt in Silber tauchte. Jetzt langweilte sie sich nicht mehr, sondern war erfüllt von einer heftigen Zärtlichkeit für ihre albernen, treuen, patriotischen Untertanen, die Bellezza genauso leidenschaftlich liebten wie sie selbst. Fast musste sie hinter ihrer Maske die Tränen zurückhalten – da wurde der silberne Vorhang aufgerissen und ein großer, rothaariger junger Mann hielt ihr einen Dolch an die Kehle.
Spuckend tauchte Lucien wieder auf. Er hatte etwas aus dem Kanal gefischt. Das Wasser schmeckte fürchterlich, doch seine Kälte brachte ihn wieder zur Vernunft.
Voller Schrecken fiel ihm plötzlich ein, dass sein Notizbuch nun auch nass sein würde, und er wusste nicht, ob es in diesem Zustand noch als Talisman funktionierte. Als er wieder einigermaßen klar sehen konnte und feststellte, dass er bis in die Mitte des Kanals getrieben worden war, geriet er vollkommen in Panik.
Sein einziger Gedanke war, aus dem Wasser zu kommen. Er sah eine Mandola vorbeifahren, packte die Seitenwand und zog sich mit mächtiger Anstrengung an Bord.
Die Duchessa wusste, dass ihre letzte Stunde geschlagen hatte. Unzählige Gedanken des Bedauerns überfluteten sie, wenn auch nicht in Bezug auf ihre eigene Person. Sie dachte an die Stadt, an Rodolfo und das braunhaarige Mädchen. Im Inneren der Kabine herrschte Schweigen. Der Attentäter sagte kein Wort und die Kammerzofe war starr vor Schreck. Der Mandolier hatte offensichtlich nicht bemerkt, dass jemand an Bord geklettert war, und stieß das Boot ruhig durch die Mündung des Kanals auf die neue Kirche zu, um dort, wie er dachte, nach der Weihe auf die Duchessa zu warten.
Der Attentäter zögerte einen Moment lang, die Klinge des Dolches immer noch am weißen Hals der Duchessa. Und dann ging plötzlich alles sehr schnell: Die Mandola schaukelte heftig, Wasser schwappte herein und ein triefend nasser junger Mann warf sich in die ohnehin schon übervolle Kabine. Lucien begriff mit einem Blick, dass er in der Staatsmandola der Duchessa war, und seine Instinkte übernahmen das Kommando. Er wusste, dass sie eigentlich nicht hier sein durfte; er hatte sie doch soeben über die Brücke der Barken schreiten sehen. Doch da stand sie, zweifelsohne. Und neben ihr stand ein unbekannter Mann mit einem Dolch in der Hand.
Im Bruchteil einer Sekunde schoss Lucien der Gedanke durch den Kopf, dass er hier im Großen Kanal von Bellezza sterben könnte. Doch gleichzeitig war er überzeugt, dass die Rettung der Duchessa das Risiko wert sein würde. Er warf sich auf den Attentäter, brachte ihn aus dem Gleichgewicht und entwand ihm den Dolch.
Kapitel 11
Die Glückshand
Die Mandola schaukelte heftig im Wasser. Es waren zu viele Menschen an Bord.
Die Zofe der Duchessa tat das einzig Vernünftige: Sie steckte den Kopf durch den silbernen Vorhang und machte dem Mandolier ein Zeichen. Der ließ von dem Versuch ab, das Gefährt zu stabilisieren, und wandte sich dem Getümmel in der Kabine zu. Er war sichtlich erschrocken, als er die Duchessa entdeckte, eine Tatsache, die Silvia ihm sofort hoch anrechnete. Er war an dem Komplott offensichtlich nicht beteiligt gewesen.
Der Mandolier half Lucien, den Attentäter mit den silbernen Kordeln, mit denen eigentlich der Brokatvorhang gerafft wurde, zu fesseln. Die Merlino-Klinge steckte sich Lucien in den eigenen Gürtel. Sobald der Attentäter sicher verschnürt war, ergriff die Duchessa das Kommando.
»Du
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