Stadt der Masken strava1
und Aberglauben. Unabhängig davon, dass die Königin ihren eigenen Astrologen hatte, der ihren Krönungstag in Übereinstimmung mit den Sternen gewählt hatte. Inzwischen wurde das Unerklärliche gleichgesetzt mit dem Unerlaubten und jeder, der wie er selbst irgendwelche Verbindungen zu Italien hatte, stand automatisch unter Verdacht. Italien galt nämlich als das Land, in dem die großen Meister des Okkulten lebten – und das übrigens in beiden Parallelwelten.
Dethridge vertraute Rodolfo und hielt ihn für den mächtigsten Stravagante in Talia. Wenn sich Talia nun unter den Chimici auch von der Magie abwandte, dann mochte die Verbindung zu Rodolfo allerdings gefährlich werden, doch Dethridge zog es vor, der Macht des Magiers zu trauen, statt in Montemurato zu bleiben.
Wohin er sich auch wandte, hörte er das Wort »strega« – »Hexe«! Und im Zentrum der Stadt baute man einen Scheiterhaufen auf.
Dethridges Angst vor dem Feuertod war äußerst mächtig, seit er ihm in seinem Heimatland mit knapper Not entkommen war. Dass er seinen Schatten zurückbekommen hatte und nun in Talia festsaß, hatte seine Seelenruhe zusätzlich aus dem Gleichgewicht gebracht. Er konnte es nicht ertragen, an Frau und Kinder zu denken, die er nicht mehr wieder sehen würde, und er konnte auch nicht glauben, dass er vor Verfolgungen sicher war. Als er also sah, wie das Feuer vorbereitet wurde, nahm er sofort an, dass jemand in Montemurato wusste, was er war – oder besser, gewesen war.
Jetzt, da sich die Morgendämmerung näherte und das Schiff der leuchtenden silbernen Stadt näher kam, konnte er seit Tagen zum ersten Mal wieder aufatmen.
Es war fast unmöglich, zu glauben, dass ein so schöner Ort auch gefährlich sein konnte.
Bei einem Glas seines Lieblingsgetränks festigte Enrico die Freundschaft mit Giuseppe, dem Spion der Duchessa. Die beiden Männer waren sich mehrfach begegnet seit jener ersten Nacht, als ihr Auftrag beide zu den Pforten der Leonora Gasparini geführt hatte, und sie hatten ihre Informationen ausgetauscht. Jetzt schütteten die zwei in der kleinen Taverne in der Nähe des verbarrikadierten Theaters Strega in sich hinein. Im Laufe des Abends wurden sie immer vertrauter miteinander und auch mit dem ansonsten so übellaunigen Wirt hinter der Theke.
»Ancora!«, lallte Enrico. »Noch einen, der geht auf mich. Und nimm du auch einen, mein Freund mit der Flasche. Ich geb dir einen aus.«
Kein Mensch in Bellezza sagte jemals Dinge wie »Glaubst du nicht, dass du schon genug getrunken hast?«. Es gab ja keine Autos, die von alkoholisierten Bürgern gefahren wurden, nicht mal Pferdekutschen. Die Betrunkenen gefährdeten also keinen außer sich selbst. Das Schlimmste, was einem angetrunkenen Bellezzaner geschehen konnte, war, in den Kanal zu fallen. Und wenn das passierte, half in neun von zehn Fällen der Schock des kalten Wassers, um ihn wieder nüchtern zu machen.
Tatsächlich war auch Enrico schon so etwas passiert. Heute war er jedoch nicht so betrunken, wie er tat. Er benötigte Informationen, die nur Giuseppe und der Wirt liefern konnten, und er wurde allmählich zu gut als Spion, um so eine Gelegenheit verstreichen zu lassen.
»Ihr wisst doch, der Bursche, von dem wir es kürzlich hatten«, sagte er jetzt zu dem Wirt, denn der geeignete Moment schien ihm gekommen. »Der, von dem ihr behauptet habt, dass er an der Giornata Vietata hier gewesen ist«, raunte er mit gesenkter Stimme.
»Was soll mit ihm sein?«, fragte der Wirt und sah sich nervös in der Bar um. Davon zu reden war gefährlich.
»Also, ihr erinnert euch doch an das Mädchen, das beide Male bei ihm war?«
»Die hübsche Kleine?«, sagte der Wirt. »Ja, die kenn ich. Wohnt mit ihrer Tante an der San Sulien.«
Enrico warf seinem neuen Freund einen triumphierenden Blick zu. Das ging ja leichter als erwartet. »Siehst du, Beppe? Das ist sie nämlich. Die, der du auf die Inseln gefolgt bist. Erzähl doch unserem Freund hier mal, was du rausgefunden hast.«
»Sie lebt nur diesen Sommer bei ihrer Tante«, sagte Giuseppe. »Geboren ist sie auf Torrone. Ihre Eltern leben immer noch dort.«
»Seht ihr!«, flüsterte Enrico. »Noch eine Verräterin! Also waren beide am Verbotenen Tag in der Stadt.«
Dem Wirt wurde unbehaglich. Ein Junge – das war eine Sache; er war ja schon fast ein Mann. Aber so ein junges Mädchen, das auch noch so hübsch war – das wollte er nicht unbedingt auf dem Gewissen haben.
»Ihr würdet doch beide vor dem Rat
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