Stadt der Masken strava1
ihrem Heck zu stehen und sie durch die bellezzanischen Wasserstraßen zu fuhren. Er sah sich um und bemerkte, dass Arianna ähnlich sehnsuchtsvolle Augen hatte. Sie grinste ihn an und er lächelte zurück. Wer weiß?, dachte er. Vielleicht würde er eines Tages eine Mandola in Bellezza besitzen – so eine oder eine ganz ähnliche.
Als Lucien zu seiner letzten Vormittagssitzung vor seinem Ausflug nach Venedig bei Rodolfo auftauchte, fand er zu seiner Überraschung William Dethridge in einem Sessel vor.
»Sei gegrüßt, junger Lucien«, sagte der alte Mann. »Du hast mich hier wohl nicht erwartet?«
»Nein, aber ich freue mich Sie zu sehen.« Etwas verlegen schüttelte Lucien Dethridge die Hand.
»Euer Lehrling beträgt sich artig«, sagte der betagte Herr anerkennend zu Rodolfo, der bei seinen Spiegeln stand.
Rodolfo kehrte zurück und lächelte die beiden an.
»Es ist mir eine Ehre, zwei Stravaganti aus der anderen Welt in meinem Laboratorium zu haben«, sagte er.
»Aber nein«, wehrte Dethridge ab. »Ein Stravagante bin ich nicht mehr. Nur noch ein Naturphilosoph.«
»Ist Euch je eingefallen, dass Ihr von hier aus als Stravagante zurückkehren könntet?«, fragte Rodolfo.
Dethridge wurde blass. »Nie würde ich in jene erschreckende Welt zurückkehren, wo sie mich verbrennen wollten.«
»Aber nein«, beruhigte ihn Rodolfo. »Als Stravagante von hier aus würdet Ihr in der Zukunft Eurer alten Welt landen. Ihr würdet in der Zeit von Luciano ankommen – als Besucher des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Ihr brauchtet nur einen Talisman, der aus jener Welt stammt. Ich nehme doch an, Ihr habt immer noch die Kupferschale?«
Dethridge zog sie aus seinem Wams hervor. So ein gewöhnliches Ding war der Auslöser für die ganze Geschichte mit der Stravaganza, dachte Lucien. Und jetzt betrachtete der Elisabethaner die Schale, als sei sie der wertvollste Gegenstand, den er je gesehen hatte.
»Ich danke Euch, Meister Rudolphe. Ihr gebt mir die Hoffnung, dass ich entfliehen kann, sollten die Dinge hier fatal verlaufen. In der Zeit von unserem jungen Lucien werden also keine Hexen mehr verbrannt?«
»Nein«, sagte Lucien. »Ich habe aber Leute gesehen, die sich Hexen nennen. Im Vorabendprogramm im Fernsehen.«
Die beiden Männer sahen ihn an, als spräche er von okkulten Geheimnissen.
»Aber lassen wir das jetzt«, sagte Rodolfo. »Ich glaube, ich habe die Gründe für Eure Befürchtungen in Montemurato entdeckt, Dottore.«
Er bat sie hinüber an die Spiegel und deutete auf denjenigen, den er auf die Stadt mit den zwölf Türmen ausgerichtet hatte. Das Bild zeigte den Scheiterhaufen inmitten des Marktplatzes. Während sie zusahen, hoben winzige Gestalten etwas, das wie eine Vogelscheuche aus Stroh aussah, auf das zusammengetragene Reisig.
Lucien begriff. »Das ist ja ein Guy!«, rief er. »Sie verbrennen nur einen Guy, Doktor Dethridge, keine Person. Sie wissen doch, genau wie in England am Guy-Fawkes-Tag. Zur Erinnerung an das Komplott im Parlamentsgebäude. Und danach wird ein Feuerwerk veranstaltet, das allerdings nichts ist im Vergleich mit dem von Rodolfo.«
Er sah auf und blickte in zwei verständnislose Gesichter. Luciens Geschichtswissen wurde bei seinen Zeitreisen wirklich hart auf die Probe gestellt! »Ach so, die Verschwörung hatte wahrscheinlich noch nicht stattgefunden, als Sie England verlassen haben«, wandte er sich an Dethridge. »Er hat versucht, die Parlamentsgebäude in die Luft zu sprengen. Ich glaube, es war eine katholische Verschwörung.«
Dethridge war offensichtlich sprachlos.
»Ah, ja, die Katholiken«, sagte Rodolfo. »Über die wollte ich noch mit Euch sprechen, Dottore. Aber um auf Montemurato zurückzukommen: Die Figur auf dem Holzhaufen ist tatsächlich nur die Puppe einer Hexe, wie Lucien vermutet hat. Es handelt sich um ein harmloses Festchen – die Festa della Strega –, das jedes Jahr um diese Zeit in Montemurato abgehalten wird. Es steht im Zusammenhang mit der Geschichte um eine Hexe, die angeblich vor hundert Jahren über die Mauern geflogen kam und einen Fluch über die Stadt brachte. Sie bannen den Fluch, indem sie einmal im Jahr die »Hexenverbrennung« zelebrieren und dazu eine Menge von diesem Schnaps trinken, der auch Strega heißt. Ihr müsst kurz nach dem letzten Fest nach Montemurato gezogen sein, Dottore. Daher habt Ihr es bisher noch nicht miterlebt.«
Dethridge entspannte sich. »Es werden in Talia also keine Menschen wegen Zauberei verbrannt?«
Rodolfo
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