Stadt der Masken strava1
aussagen, ja?«, fragte Enrico und nahm seine Börse heraus, um die Getränke des Abends zu zahlen. Die beiden anderen Männer bemerkten, dass sie schwer war vor Silberstücken. »Die gleichen Bedingungen wie bei dem Jungen«, sagte er zu dem Wirt. »Die Hälfte jetzt und die andere, wenn du ausgesagt hast.«
Der Wirt leckte sich die Lippen. Immerhin war es ja nicht recht, die jungen Leute mit so blasphemischen Vergehen davonkommen zu lassen. Jeder in Bellezza kannte die Regeln des Verbotenen Tages. Er nickte zwar nur unmerklich, doch das genügte Enrico.
»Ancora!«, rief er so laut er konnte. Jetzt hatte er zwei Zeugen, die das Schicksal des Lehrlings von Rodolfo und seiner kleinen Freundin besiegeln würden. Und das Beste daran war, dass die Duchessa, die dem Rat vorsaß, ihr Todesurteil selbst aussprechen musste. Sie konnten einzig und allein gerettet werden, wenn Bellezza der Republik beitrat. Dann würden die Gesetze des Staatenbundes die provinzielle Rechtsprechung Bellezzas überlagern.
Auf diese Weise würde der größte Freund und Bewunderer der Duchessa auf die Seite von Chimici gezogen. Er würde versuchen sie zu überreden den Vertrag zu unterzeichnen, damit der Junge gerettet werden konnte. Und der Junge würde Rodolfo überreden, wegen des Mädchens. Gut gemacht. Absolut wasserdicht.
Enrico kippte noch ein Glas hinterher; jetzt musste er keinen kühlen Kopf mehr bewahren. Er würde Giuliana sagen, dass sie morgen die Aussteuer bestellen konnte.
Arianna war traurig. Es waren nur noch ein paar wenige Nachmittage übrig, die sie mit Lucien verbringen konnte, doch nachdem sie sich gestritten hatten, wusste sie nicht mal, ob ihr die blieben. Natürlich würde er nur eine Woche lang nicht kommen, doch sie wusste, dass alles anders sein würde, wenn er wieder kam.
Der Sommer würde zu Ende gehen und sie würde in ihr Leben auf Torrone zurückkehren müssen.
Sie wusste nicht, wie sie das ertragen sollte. Kaum war sie sechzehn, würde Druck auf sie ausgeübt werden, sich zu verheiraten, doch nach der Freundschaft mit dem Jungen aus der anderen Welt wusste sie keinen in Talia, der ihr gepasst hätte.
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus, dann schüttelte sie sich. Das war gar nicht bellezzanische Art. Lebe im Augenblick! Erfreu dich des Tages. Als Lucien am Brunnen eintraf, erwartete ihn Arianna mit dem üblichen Funkeln in den Augen und man sah ihr die Niedergeschlagenheit von eben nicht mehr an. Sie war so erleichtert, ihn zu sehen, dass sie auch gar nicht von ihrem Streit anfing.
»Heute gehen wir mal ganz woanders hin«, sagte sie sofort und führte ihn aus dem Garten durch ein Gewirr von Gassen zu einem Fleck am Großen Kanal hinunter, wo sie eine Fähre nehmen konnten. Die Fähren waren wesentlich billiger als die Mandolas, genau wie im Venedig in der Welt Luciens. Wie bewegliche Brücken fuhren sie kreuz und quer über den Großen Kanal.
Auf der anderen Seite angekommen, machten Arianna und Lucien nicht Halt, um das Viertel zu erforschen. Sie liefen rasch hindurch und befanden sich alsbald neben einem anderen Kanal, den sie auf einer steinernen Brücke überquerten.
Auf der anderen Seite befand sich ein Liegeplatz für Boote. Hier lag ein halbes Dutzend schwarzer Mandolas auf dem Trockenen.
»Was ist das hier für ein Ort?«, fragte Lucien.
»Der Squero di Florio e Lauro«, sagte Arianna. »Das waren zwei Heilige. Schau –
die große Kirche da drüben ist ihnen geweiht.«
»Wer waren sie?«, fragte Lucien. Er kannte nicht so besonders viele Heilige und von diesen beiden hatte er mit Sicherheit noch nie gehört.
»Ach, irgendein Zwillingspaar«, sagte Arianna obenhin. »Sie haben die Insel angeblich vor Eindringlingen gerettet, indem sie gebetet haben. Aber einige glauben, dass sie die himmlischen Zwillinge waren – du weißt schon, die von dem Sternbild.«
»Und sind sie die Schutzheiligen oder Schutzgötter der Mandolas?«, wollte Lucien wissen, der den unkomplizierten Umgang der Bellezzaner mit Religion allmählich kannte.
Arianna zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht. Der Platz heißt einfach nur so, weil er in der Nähe der Kirche liegt.«
Die Kielseiten der Mandolas wurden abgekratzt und frisch kalfatert. Doch hinter ihnen entdeckte Lucien eine neue Mandola, die gerade im Bau war. Es war das schönste Gefährt, das er je gesehen hatte. Die Mandola war schwarz wie alle anderen, aber in ihren Formen lag etwas besonders Anmutiges. Lucien wurde von dem Wunsch ergriffen, in
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