Stadt der Masken strava1
jetzt einen seiner Spiegel in Dauerstellung auf Montemurato gerichtet. Er war auf William Dethridge eingestellt und folgte ihm bei seinen Gängen durch die ummauerte Stadt. Seit dem Anschlag auf Silvias Leben war Rodolfo krank vor Sorge um ihre Sicherheit und er glaubte, der alte Stravagante habe vielleicht ein paar Vorschläge. Doch Dethridge hatte solche Angst, nachdem er in seiner Welt dem Tod als Hexer nur soeben entkommen war, dass er den gleichen Vorurteilen in Talia zum Opfer fallen könnte. Jetzt, wo er sich nicht mehr durch das Fehlen seines Schattens verriet, schien er entschlossen, sich überhaupt so unauffällig wie möglich zu verhalten.
Aber ehe Rodolfo und Lucien Montemurato verlassen hatten, hatte Rodolfo William Dethridge einen Handspiegel gegeben. Der Elisabethaner hatte ihn nur zögernd angenommen – erst, als er sich klar gemacht hatte, dass so ein Spiegel in seiner Habe wohl kaum ein belastendes Objekt war.
Jetzt versuchte Rodolfo Kontakt mit Dethridge aufzunehmen. Er stand da und starrte in den Montemurato-Spiegel und murmelte Beschwörungsformeln, bis das Gesicht von William Dethridge erkennbar wurde. Sein Ausdruck verriet pures Entsetzen.
»Meister Rudolphe«, stieß der alte Mann hervor. »Gott sei Dank! Ihr müsst mir helfen!«
»Was ist los?« Rodolfo war sofort beunruhigt.
»Sie bauen einen Scheiterhaufen«, sagte Dethridge. »Und ich habe Angst, dass er für mich bestimmt ist!«
Kapitel 13
Ein Todesurteil
Die Reise nach Venedig rückte näher; Lucien hatte nur noch ein paar Tage, sich innerlich darauf einzustellen und Rodolfo darauf vorzubereiten, dass er eine Zeit lang wahrscheinlich nicht nach Bellezza kommen könne. Er war richtig aufgeregt, die echte Stadt kennen zu lernen, und wenn er ehrlich zu sich selbst war, musste er zugeben, dass es ihm nichts ausmachte, eine Weile mit seinen nächtlichen Abenteuern auszusetzen. Immer, wenn er tagsüber ohne Zeitreiseunterbrechung schlief, wurde er von Alpträumen von dem Mann mit dem Dolch auf der Mandola heimgesucht.
Er konnte es nicht fassen, als Rodolfo ihm sagte, dass der Attentäter frei und jetzt in der Scuola Mandoliera sei.
»Aber wieso denn? Ist er nicht sehr gefährlich?«
»Jetzt nicht mehr«, sagte Rodolfo. »Er frisst Silvia praktisch aus der Hand.«
»Aber soll er nicht bestraft werden? Und was ist mit dem, der ihn gedungen hat?
Es muss doch dieser di Chimici gewesen sein, oder nicht?« Lucien wurde von dem Gefühl beschlichen, dass sich der Ruhm seiner einzigen Heldentat, auch wenn diese eher dem Zufall zu verdanken war, allmählich wieder auflöste.
»Ich glaube schon, dass Parola seine Strafe bekommt«, sagte Rodolfo. »Wenn es ihm wirklich Leid tut, was könnte dann schlimmer für ihn sein, als mit seinem Verrat leben zu müssen? Und was di Chimici angeht: Silvia wollte einen Schauprozess veranstalten, doch ich habe sie überzeugt, dass es raffiniertere Wege gibt, sich an einem Feind zu rächen. Und sie hat mir zugestimmt, dass die Bevölkerung nichts von den Doubles erfahren soll.«
»Sie meinen also nicht, dass sie jetzt noch in Gefahr schwebt?«, fragte Lucien.
»Das würde ich nicht behaupten«, sagte Rodolfo finster. »Aber immerhin vielleicht nicht unmittelbar.«
»Die Sache ist nämlich die«, erklärte Lucien, »dass ich bald für eine Weile nicht nach Bellezza kommen kann. Meine Eltern nehmen mich auf eine Ferienreise ins Ausland mit. Ich werde ja wohl nicht nach Talia kommen können, wenn ich nicht in England starte, oder?«
Rodolfo sah ihn eindringlich an. »Dann erholst du dich also daheim in deiner Welt?«, fragte er.
»Es scheint so«, erwiderte Lucien.
»Und wohin fahren sie mit dir?«
»Nach Venedig«, sagte Lucien.
Rodolfo lächelte. »Du wirst also die ganze Zeit in Bellezza sein, sozusagen. Und wenn du zurückkommst, kannst du mir erzählen, ob unsere Stadt in eurer Zeit immer noch so herrlich ist.«
William Dethridge ließ sein Pferd auf dem Festland zurück und nahm die Fähre nach Bellezza. Er hatte Montemurato mitten in der Nacht verlassen, immer noch in der angstvollen Annahme, dass sein Leben in höchster Gefahr war. Nun wollte er sich – wie er sagte – zu »Meister Rudolphe« begeben, wo er das Gefühl hatte, mehr in Sicherheit zu sein. Selbst nach anderthalb Jahren konnte er das Talia der jetzigen Zeitebene nicht von dem Italien seiner Zeit trennen.
In Italien herrschte damals genau wie im elisabethanischen England Hass und Misstrauen gegenüber jeglicher Art von Magie
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