Stadt der Masken strava1
Original.
Es war schwer zu glauben, dass sich das Wasser tatsächlich bewegte, dass die Vögel flogen und dass die Touristen über den Platz wanderten.
Er traf seine Eltern am Portal der Kirche wieder. Seine Mutter hatte ihren Kunstführer in der Hand. »Das war wunderbar. Aber nun lasst uns zum Dogenpalast gehen.« Sie gingen in Richtung Wasser und schlängelten sich zwischen anderen Touristen und den Tauben zu ihren Füßen hindurch. Die Buden mit ihren grellen Narrenkappen und goldlackierten Gondeln mieden sie. Der rötliche Palast am Rande der Piazzetta zog ebenfalls wieder eine Menge Touristen an und es bildete sich erneut eine Schlange. Der Höhepunkt der Führung war der Gang über die überdachte Seufzerbrücke, die zu den Verliesen des Dogen führte und auf der man den Weg der verzweifelten abgeurteilten Gefangenen beschritt. Auch hier gab es eine lange Schlange. Doch seit sie den Palast betreten hatten, hatte Lucien ein ungutes Gefühl. Die Staatsgemächer mit ihren holzgetäfelten Wänden und den riesigen Gemälden, die vom Alter geschwärzt waren, waren alle so dunkel und düster. Selbst die Privatgemächer des Dogen waren nichts im Vergleich mit denen der Duchessa. Einen Glassalon gab es gar nicht und einen, der dem mit dem Pfauengriff und dem Geheimgang ähnelte, ebenfalls nicht. Die Unterschiede der beiden Städte bereiteten Lucien Kopfschmerzen. Doch seine Eltern standen schon für die Seufzerbrücke an, also ging er mit. Auf halbem Weg über die Brücke wurde der Druck in seinem Kopf unerträglich, aber zwischen ihn und seine Eltern hatten sich ein paar Fremde gedrängt. Er wurde von der Menge mitgeschoben. Auf der anderen Seite der Brücke befanden sich die winzigen Zellen.
Jetzt waren sie mit Besuchern in T-Shirts und Shorts gefüllt, die sich bei dem Gedanken an die ehemaligen Insassen gruselten. Lucien wusste nicht, was mit ihm geschah. Es war nicht wie sonst bei seiner Krankheit. Er bekam kaum Luft und in seinem Kopf hämmerte es. Er wurde in eine der Zellen gedrängt und hatte sofort das Gefühl, dass ihm schlecht wurde. Ein Gefühl von Angst und Schrecken ergriff ihn und er spürte intensiv die Furcht einer anderen Person, die in Erwartung eines schrecklichen Todes hier eingesperrt war. »Holla!«, rief ein Amerikaner. »Was ist denn mit dem Jungen los? Sieht aus, als ob er gleich umkippt.« Im
Nu waren Mum und Dad an Luciens Seite und schon bald standen lauter Leute herum, die wie die Nebenrollen in einem Film Dinge sagten wie »Platz da!« oder
»Bringt ihn an die Luft!«. Seine Eltern brachten ihn auf die andere Seite der Brücke zurück. Je weiter sie sich von den Kerkern entfernten, desto besser ging es ihm.
»Es geht schon wieder, echt«, beruhigte er seine Eltern, die bereits von einem Arztbesuch redeten. »Das ist die Atmosphäre in dem Kerker dort«, meinte der Amerikaner, der Lucien aufgefangen hatte, als er beinahe in Ohnmacht gefallen wäre, und der sie bis über die Brücke begleitet hatte. »Hunderte von Menschen sind von dort in den Tod gegangen. So etwas muss doch zwangsläufig seine Spuren hinterlassen. Ihr Sohn ist einfach ein bisschen sensibler als andere, würde ich sagen.«
Die junge Frau nahm ein Boot nach Burlesca und ihr Herz war so voll wie ihre Börse. Es gab einige in ihrer Familie, die bezweifelt hatten, dass Enrico den Tag jemals festsetzen würde; sie waren nun schon ziemlich lange verlobt. Doch jetzt, mit dem Geld von der Duchessa und den zusätzlichen Silberstücken, die ihr Verlobter ihr gegeben hatte, war sie in der Lage, das Hochzeitskleid zu bestellen.
Und wohin würde man in der Lagune gehen, um weiße Spitze zu erwerben, wenn nicht nach Burlesca?
Dort gab es eine alte Frau, deren Arbeit so leicht und zart war, dass ihr Ruhm sich über die Insel hinaus verbreitet hatte. Paola Bellini verlangte vielleicht mehr als andere Spitzenklöpplerinnen auf Burlesca, aber sie war immerhin die beste.
Giulianas Freundinnen hatten ihr beschrieben, wie sie die Spitzenmacherin finden würde. »Halt nach dem weißen Haus Ausschau«, sagten sie. »Es ist das einzige.«
Rodolfo stieß sich und Dethridge schnell voran – durch abgelegene Kanäle zu einem Kloster im Norden der Stadt, dem die Duchessa für die Waisenkinder, die dort in Obhut waren, Silber spenden wollte. Als sie heraustrat, weiteten sich ihre Augen beim Anblick von Rodolfo, der persönlich im Heck seiner Mandola stand.
Rasch entließ sie ihren eigenen Mandolier und stieg stattdessen in das Gefährt
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