Stadt der Masken strava1
zu sein machte sie unvorsichtig und sie ließ so viele Andeutungen fallen, dass Paola keine Mühe hatte, die Lücken zu ergänzen. Und was sie von diesem Enrico oder seinem reichen Chimici-Auftraggeber hörte, gefiel ihr gar nicht.
Wenn Giuliana überrascht war von den vielen Anprobeterminen, die die alte Frau für notwendig hielt, dann zeigte sie dies nicht. Es war ihr ganz recht, mehrere Tage inmitten all dieser schönen Spitze und mit einer sympathischen Person über ihre Hochzeit zu plaudern.
Arianna sehnte sich nach ihrer Mutter. Bisher war sie recht freundlich behandelt worden, durfte aber keinen Besuch bekommen. Sie war verzweifelt vor Ungewissheit. War Lucien auch festgenommen worden? Oder hatte er zurückreisen können, ehe die Wachen kamen? Zumindest wäre er bei Rodolfo gewesen, der mehr Beziehungen hatte als Tante Leonora.
Die Nacht in der Zelle war das Schlimmste. Es war dunkel, viel dunkler als ihr Zimmer in Torrone oder das in Leonoras Haus, denn es gab keine Kerzen in der Zelle und keine Fackeln draußen im Gang. Das Stroh ihres Lagers war zumindest sauber, aber sein Rascheln hielt sie die ganze Nacht wach, weil sie Angst hatte, dass es vielleicht von Ratten stammen könnte.
Und sie hatte keine Hoffnung, gerettet zu werden. Sie hatte das Verbrechen, dessen sie beschuldigt war, begangen. Wenn es Zeugen gab, war sie erledigt.
Natürlich hatte sie gewusst, welche Strafe bei Entdeckung auf sie wartete. Doch als sie ihre Pläne geschmiedet hatte, war sie davon ausgegangen, dass man sie nicht erwischte. Sie hatte sich das so zurechtgelegt: Wenn man sie als Mandolier eingestellt hätte, wäre später die Entdeckung, dass sie ein Mädchen war, die eigentliche Sensation gewesen und man hätte sich nicht mehr für den Tag interessiert, an dem sie sich angemeldet hatte. Und dass man so tat, als ob man zum anderen Geschlecht gehörte, war schließlich nicht strafbar.
Jetzt musste sie der Wahrheit ins Gesicht sehen. Die unausweichliche Strafe für das Verbrechen, das sie begangen hatte, war der Tod auf dem Scheiterhaufen.
Solange sich jemand zurückerinnern konnte, hatte sich keiner des Verstoßes gegen das Gesetz des Verbotenen Tages schuldig gemacht, aber jedem war nur allzu gut bewusst, was passierte, wenn man es tat.
Es hatte während Ariannas kurzem Leben wohl andere Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen gegeben, für andere Vergehen wie Hochverrat zum Beispiel. Sie wusste, dass die Holzhaufen zwischen den beiden Pfeilern aufgebaut wurden, zwischen dem mit der Maddalena und jenem mit dem geflügelten Widder, die den Zugang zur Stadt vom Wasser her bewachten. Die Verbrennungen waren öffentliche Ereignisse und die Bellezzaner waren der Überzeugung, dass keiner, der die Stadt verraten hatte, Gnade oder Mitleid verdiente.
Arianna selbst hatte noch keiner Hinrichtung beigewohnt; ihre Eltern hätten sie nie zu so einem schrecklichen Schauspiel mitgenommen. Aber sie hatte einmal die Reste eines Scheiterhaufens gesehen und sie hatte eine lebhafte Vorstellungsgabe. Hier in der Zelle der Duchessa war es nur allzu leicht, die Flammen vor sich zu sehen, sich den Geruch ihres versengten Fleisches vorzustellen und die Todesqualen. Arianna konnte es nicht ertragen – sie schrie laut auf. Doch niemand hörte sie.
Und dann geschah etwas Unbegreifliches. Das Bild von Luciano erschien in der Zelle, umgeben von seltsam gekleideten Menschen. Er sah ihr direkt ins Gesicht,
und zwar mit einem so unglücklichen Ausdruck, dass Arianna ihr eigenes Leid vergaß. Das Bild blieb nur einen Augenblick sichtbar, dann verblasste es, aber danach schien ihr ihr eigenes Los nicht mehr so schlimm. Sie selbst befand sich zwar in furchtbarer Gefahr, aber Luciano auch, und das, obwohl er völlig unschuldig war.
Er kannte die Vorschriften nicht und hatte nicht gewusst, dass er gegen das Gesetz verstieß. Aber obwohl das die Wahrheit war, würde ihn das nicht retten, denn wer würde ihm schon glauben? Arianna fühlte sich mitverantwortlich. Wenn sie ihn nicht von dort, wo sie ihn gefunden hatte, fortgeholt hätte, vielleicht wäre er rechtzeitig in seine eigene Zeit und sein eigenes Land zurückgekehrt?
Während sie überlegte, wie sie ihm helfen könnte, und indem sie plante, Rodolfo eine Botschaft zukommen zu lassen, fiel Arianna in einen unruhigen Schlaf.
Lucien ging es schon viel besser. Einmal noch war ihm komisch, nämlich, als er zwischen den beiden Säulen zur Haltestelle des Vaporetto hindurchging, doch das Gefühl verging
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