Stadt der Masken strava1
war nicht die Art der Bellezzaner, etwas so Gewichtiges aufzuschieben. Der Rat sollte in ein paar Tagen zusammentreten und der Beschluss würde rasch gefasst werden. Wenn man das Mädchen los war, bezweifelte der Botschafter, dass der Junge jemals zurückkommen würde.
Di Chimici wäre vielleicht glücklicher gewesen, wenn er gesehen hätte, wie Rodolfo die ganze Nacht in seinem Dachgarten auf und ab schritt. Der Senator hatte sich den Kopf zerbrochen, wie er Luciano eine Botschaft zukommen lassen könnte, damit dieser nicht unvorsichtig nach Bellezza zurückkehren und in eine Falle laufen würde. Es stimmte zwar, dass Luciano meistens direkt im Laboratorium ankam, aber Rodolfo wusste nicht, welche Auswirkungen die Tatsache hatte, dass in Lucianos eigener Welt eine ganze Woche vergangen war, während der er auch nicht an seinem angestammten Platz gewesen war. Wenn er mitten in der Nacht zur Stravaganza ansetzte, landete er vielleicht bei Arianna, wegen seiner Nachmittagsbesuche.
Seit dem Tag, als Rodolfo ihn aus der Scuola Mandoliera in sein Laboratorium hatte bringen lassen, hatte Luciano nicht einen Morgen seinen Unterricht versäumt, bis seine Eltern ihn nach Venedig mitgenommen hatten. Soweit Rodolfo begriffen hatte, war es während Lucianos Nächten Tag in Bellezza, genau, wie es bei William Dethridge gewesen war. Wenn Luciano mehr als einmal während des Tageslichts oder der Nacht der jeweiligen Zeitzone in die eine oder die andere Richtung reiste, kam er immer nur Augenblicke, nachdem er verschwunden war, in die andere Welt zurück. Doch wenn er bis zur nächsten Nacht mit der Stravaganza wartete, war in Bellezza ein Tag vergangen.
Die Unterbrechung von einer Woche würde eine unvorhergesehene Abwesenheit von Talia mit sich bringen und Rodolfo wusste nicht, wie lange sie andauern würde. Er und Luciano und William Dethridge hatten Stunden damit zugebracht, die Zeitunterschiede zwischen Lucianos England und ihrem Talia zu erkunden.
Dethridge berichtete ihnen, dass seine erste ungeplante Stravaganza – an jenem Tag, als er versuchte Gold herzustellen – im Jahr 1552 stattgefunden hatte, also vor fünfundzwanzig Jahren, wenn man von der bellezzanischen Rechnung ausging. Doch lag die Zeit vierhundertfünfundzwanzig Jahre vor Lucianos Zeit. Wenn der Übergang zwischen den Welten regelmäßig ablief, dann entsprach ein Jahr in Talia beinahe siebzehn in Lucianos Welt. Aber da lagen die Schwierigkeiten: Der
Übergang verlief eben nicht regelmäßig. Während der Besuche von Luciano hatte sich die Zeitrechnung in beiden Welten eins zu eins entsprochen, doch irgend-wann davor war die Zeitdifferenz zwischen der einen und der anderen Welt offensichtlich rasch verschoben worden und es war unmöglich, zu sagen, wann so etwas wieder eintreten würde.
»Selbst wenn ich jetzt nach Venedig fahre und Bellezza nicht besuche«, hatte Lucien argumentiert, »dann bin ich doch in spätestens einer Woche wieder zurück.«
Doch keiner von ihnen wusste sicher, ob dem so war. Als Dethridge der Duchessa erzählt hatte, dass Luciano eine Weile fort sein würde, war er tatsächlich überzeugt, sie würden ihn in einer Woche wieder sehen. Aber jetzt, auf dem Rückweg ins Laboratorium, hatte Rodolfo plötzlich Angst, dass die Zeit in Lucianos Welt wieder schneller vergangen sein könnte und dass er schon in den nächsten Stunden auftauchen könnte. Und aus diesem Grund überlegte er nun, ob er selbst oder Dethridge Luciano eine Botschaft zukommen lassen könnten, indem sie in seine Zeitebene reisten.
»Ich bin willens zu reisen«, sagte Dethridge, »wenn es dem Jüngling hilft.«
»Vielen Dank«, erwiderte Rodolfo. »Das ist sehr zuvorkommend von Euch. Aber ich glaube, es würde ihm nicht helfen. Ihr würdet das einundzwanzigste Jahrhundert zu verwirrend und schwierig finden. Mir ist es auf jeden Fall so ergangen. Und ich bin sicher, Ihr würdet nach der Zeit von Lucianos nächstem Besuch ankommen und wärt damit zu spät, um ihn zu warnen.«
»Alsdann müssen wir einen anderen Weg finden«, sagte Dethridge nur.
Ohne sich bewusst zu sein, wie viele Gedanken in Bellezza auf ihn gerichtet waren, fuhr Lucien mit der Erkundung Venedigs fort. Seine Eltern waren überwältigt, wie gut er die Stadt kannte, obwohl er sie manchmal einen bellezzanischen Weg führte, der dann bei etwas enden sollte, das es in Venedig nicht gab oder das an einem völlig andern Platz stand. Aber es gelang ihm immer besser, solche kleinen Unfälle zu
Weitere Kostenlose Bücher