Stadt der Masken strava1
über das Attentat zu suchen, und schließlich, um festzustellen, ob einzelne Stücke des kostbaren Glases gerettet, repariert und erhalten werden konnten. Erst danach konnten die nicht mehr benötigten Reste beseitigt werden.
Auch die Räume, die an den Glassalon angrenzten, waren heftig beschädigt worden. Das Privatgemach der Duchessa, der Ratssaal, das Kartenzimmer mit den beiden großen Globen, einer Erdkugel und einer Kugel des Universums – sie alle hatten Reparaturen und Renovierungsarbeiten nötig. Doch konnte nichts entschieden werden, ehe eine neue Duchessa gewählt war.
Solange nahm keiner Notiz von Susanna, die still und leise die persönlichen Sachen der Duchessa packte und fortschaffte. Man nahm allgemein an, sie würde Anordnungen gehorchen und die Hinterlassenschaft an die Erben der Duchessa weiterleiten – wer immer das sein mochte. Susanna nahm Truhen voller
Schmuck und Silber, feine Leib- und Nachtwäsche, Bücher und Papiere und ein wertvolles Porträt von Michele Gamberi, nichts jedoch von den eleganten Kleidern und Masken, die Silvia in ihrem neuen Leben nur verraten hätten.
Mr Laski, der beratende Arzt, hatte Luciens überquellende Akte vor sich auf dem Schreibtisch. Er frischte seine Erinnerung an den Fall kurz auf, nachdem er sie begrüßt hatte. Lucien konnte sehen, dass diese Augenblicke für seine Eltern wie ein Ewigkeit waren, doch er selbst fühlte wenig. Mr Laski hielt sein Schicksal nicht in Händen; das war schon entschieden. Er war nur der Überbringer der Nachricht. »Keine gute Nachricht zu meinem Bedauern«, sagte der Arzt. »Die Computertomografie hat ergeben, dass der Gehirntumor wieder wächst.«
Lucien spürte, wie sein Blut kalt wurde. Er hörte, wie seine Mutter nach Luft rang.
»Was bedeutet das denn genauer ausgedrückt?«, fragte Dad. »Kann man ihn wieder entfernen?«
»Das ist die große Preisfrage«, sagte Mr Laski. »Die Patienten wollen immer eine Antwort darauf und die kann ich nun mal nicht geben. Wir werden die Behandlung natürlich wieder aufnehmen und wir hoffen, dass wir einen weiteren Rückgang der Krankheit erreichen können, aber ich muss Sie warnen, dass das Wachsen ein schlechtes Zeichen ist.« Es herrschte tiefes Schweigen im Raum, während jeder versuchte das Gesagte zu begreifen. Unwillig dachte Lucien an weitere Behandlungen mit Chemotherapie, an die Erschöpfung, an den Verlust seines feinen nachgewachsenen Haars. Wenn er doch nur einen Doppelgänger hätte benutzen können, wie die Duchessa. Aber das hier war London, nicht Bellezza. Und er wusste, dass er die Behandlung über sich selbst ergehen lassen musste.
»Gibt es sonst noch etwas, was Sie wissen möchten?«, fragte Mr Laski freundlich. Manchmal hasste er seinen Beruf. »In letzter Zeit war es ein paar Mal so, dass ich Lucien morgens, wenn ich ihn ansprach, nicht wach bekommen konnte«, sagte Mum. Sie sprach schnell, um ihre Sorge zu verbergen. »Ich meine nicht, dass er einfach tief schlief. Beim ersten Mal hat es sich nur um ein paar Minuten gehandelt. Aber beim zweiten Mal war es fast eine halbe Stunde und ich musste unsere Hausärztin holen. Dann ist Lucien plötzlich wie gewöhnlich aufgewacht.«
»Aber Mum!«, sagte Lucien. »Das ist doch jetzt egal!« Doch Mr Laski war sehr interessiert und stellte eine Menge Fragen und sah Lucien mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen.
»Ich habe keine Erklärung dafür«, sagte er schließlich. »Aber ich möchte, dass Sie ihn im Auge behalten und herbringen, wenn es noch mal auftritt. Ich würde ihn dann gerne untersuchen. Aber vorerst treffe ich so schnell wie möglich die Vorbereitungen für eine neue Chemo.«
Sonst gab es nichts mehr zu sagen, daher verabschiedeten sie sich und gingen.
Arianna war völlig durcheinander. In wenigen Tagen hatte sie sich von einem einfachen Inselmädchen, das in Gefahr schwebte, hingerichtet zu werden, zur möglichen nächsten Duchessa gewandelt. Jetzt befasste sie sich mit dem Gedanken, über die Stadt zu herrschen, die sie so liebte, und sie konnte sich das einfach nicht vorstellen.
Ihre Gefühle gegenüber der Duchessa waren immer noch dieselben. Sie konnte sie einfach nicht als Mutter annehmen. Diese Rolle würde immer Valeria vorbehalten bleiben, dieser liebevollen, weichen, warmherzigen Frau, die nach frisch gebackenem Brot und Kräutern duftete und die sie ihr ganzes Leben begleitet hatte. Die Duchessa war eine selbstsüchtige, eigensinnige, tyrannische Frau, die keine Lust gehabt hatte,
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