Stadt der Sterne strava2
sprang geschmeidig heraus und bot dem älteren Mann hilfreich den Arm. Ganz offensichtlich waren sich die beiden zugetan. Vater und Sohn, hätte einer, der sie beobachtete, meinen können, aber sie sahen doch sehr unterschiedlich aus. Der Junge war schlank und hatte volle schwarze Locken, die er der Mode in Talia gemäß lang wachsen ließ und die von einem violetten Band locker zusammengehalten wurden. Seine Kleidung verriet Wohlstand, aber keine Verschwendungssucht.
Der ältere Mann sah vierschrötig und kraftvoll aus, trotz seiner steifen Gelenke.
Sein Haar war weiß und er wirkte vornehm; er hätte Professor an einer Universität sein können und doch hatte er Schwielen an den Händen wie jemand, der es gewohnt war, zuzupacken.
Die beiden standen auf dem Kopfsteinpflaster Remoras in der frühmorgendlichen Luft und sahen sich mit offenkundiger Neugier um.
»Noch eine Stadt, Luciano«, sagte der Ältere. »Und was für eine prächtige. Und doch, was würden sie sagen, wenn sie hörten, von wie weit her wir gereist sind?«
Der junge Mann fand keine Zeit für eine Antwort, denn schon wurde die Tür des Hauses geöffnet und ein großer, grauhaariger Mann stand vor ihnen.
»Maestro!«, sagte er und seine Augen leuchteten auf. »Willkommen! Ich freue mich, Euch zu sehen. Und Euren Sohn gleichfalls.«
Die beiden Männer umarmten sich wie Brüder und danach schloss der Stallmeister auch den Jungen in seine kräftigen Arme.
»Du musst meinen Cesare kennen lernen – ihr seid fast gleichaltrig. Kommt herein, kommt herein, alle beide. Teresa wird euch ein schönes Frühstück vorsetzen.«
Georgia brachte fast den ganzen Tag wie benommen zu. Sie hörte nicht einmal hin, als Russell am Morgen wieder zu lästern anfing. Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie etwas, das ihre Gedanken wirklich von ihm ablenkte. Als sie noch in Remora gewesen war, hatte sie geahnt, dass ihr die Sternenstadt wie ein Traum vorkommen würde, sobald sie in ihre Welt zurückgekehrt sein würde. Und dennoch wusste sie jetzt, dass es kein Traum war. Sie hatte in Talia vielleicht keinen Schatten gehabt, aber sie war ganz und gar aus Fleisch und Blut gewesen, hatte etwas Bier getrunken und Brot und Oliven gegessen und sich auf einem Heuboden zum Schlafen hingelegt. Sie hatte angenommen, dass sie eine Ewigkeit brauchen würde, um einzuschlafen, vor allem, da sie ja wusste, dass Cesare und Paolo das geflügelte Pferd und seine Mutter während der Nacht fortbringen würden. Zu gerne wäre sie geblieben und hätte dieses Abenteuer miterlebt, doch Paolo hatte ihr auseinander gesetzt, dass ihr Körper daheim in ihrer eigenen Welt ohnmächtig in ihrem Bett aufgefunden werden würde, wenn sie über Nacht in Talia blieb.
»Deine Eltern würden sich sehr erschrecken«, hatte er gesagt. »Sie würden dich für krank halten. Du musst also zurückkehren, und das wirst du auch, sobald du einschläfst – solange du deinen Talisman festhältst.« Und er hatte Recht gehabt.
Ob es nun an dem Bier lag oder daran, dass sie zwei Tage hintereinander auf gewesen war, schon bald fiel Georgia in einen tiefen Schlaf. Das Aufwachen in ihrer eigenen Welt war dann fast ein Schock. Alles erschien ihr so laut und brutal: das Radio, das Nachrichten und Wetterbericht herausplärrte, der Toaster und der Wasserkocher in ihrer morgendlichen Aktion und nicht zuletzt Maura, die lautstark nachprüfte, ob jeder für den Tag hatte, was er so brauchte. Als Ralphs Handy klingelte, fiel Georgia fast vom Stuhl.
Lächerlich, dachte sie. Sie hatte doch nur einen Nachmittag in Remora verbracht und wusste gar nicht, ob sie je wieder hinkommen würde. Und dennoch konnte sie nicht aufhören, daran zu denken: an die Bezirke, den Campo delle Stelle, das geflügelte Pferd, an Cesare. Als ob sie verliebt war… War sie das vielleicht? Cesare hatte ihr gefallen und er war ein nett aussehender Junge, der zwei Jahre älter war als sie. Theoretisch hätte sie unheimlich in ihn vernarrt sein müssen, auch wenn das verrückt gewesen wäre – als ob man sich in einen jungen Mann aus einem alten Gemälde verliebte. Aber so war es nicht.
Es war einfach so angenehm gewesen, die Zeit mit einem Jungen zu verbringen, der sie nicht hasste. Bestürzt stellte sie fest, dass es so sein musste, wenn man einen richtigen Bruder hatte. Die Mittagspause verbrachte Georgia in der Bibliothek, wo sie auf dem Schulcomputer die Suchbegriffe Talia, Remora, Chimici und Stellata eingab. Doch unter keinem dieser Ausdrücke
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