Stadt der Sterne strava2
waren wieder auf den Campo getreten und überquerten das Pflaster automatisch über den Abschnitt der Jungfrau. Nicht mal der Herzog von Giglia wollte eine Minute länger als nötig auf feindlichem Grund und Boden stehen.
Niccolò runzelte die Stirn. Das war nicht die Art von Gespräch, die ihm am helllichten Tag behagte, vor allem nicht so nahe am Waage-Bezirk.
»Lass uns an einen unverfänglichen Ort gehen und dort weiterreden«, sagte er und führte Gaetano auf die Strada delle Stelle hinaus. Sie gingen auf der Seite der Straße, die dem Bezirk Steinbock zugewandt war, und steuerten einen kleinen Platz an, der beim Tor des Mondes lag. Dort gab es ein kleines, verschlafenes Gasthaus.
Der Wirt brachte ihnen beiden einen grünlich schimmernden Wein und einen gro
ßen Teller mit zuckrigem Gebäck, dem sich allerdings nur Gaetano widmete.
»Dir liegt offensichtlich etwas auf der Seele«, sagte Niccolò und musterte seinen Sohn eingehend. »Willst du mir sagen, was es ist?«
»Es ist diese Stadt«, sagte Gaetano ausweichend, den Mund voller Kuchenkrümel. »Sie ist so falsch. Alles ist säuberlich aufgeteilt und läuft nach bestimmten Regeln ab. Und wenn es dann um dieses ach so wichtige Rennen geht, werden alle Regeln gebrochen. Es gewinnt doch immer bloß der Bezirk, der am meisten Bestechungsgelder aufbringen kann.«
Der Herzog sah sich vorsichtig um. Selbst auf neutralem Gebiet sagte man einige Dinge am besten nur ganz leise, wenn man sie denn unbedingt sagen musste.
»Du weißt doch, wie sehr diese Stadt an Omen und Vorhersagen glaubt«, erwiderte er leise. »Wenn weder Jungfrau noch Zwillinge gewinnen, nehmen sie das hier gleich als Zeichen, dass unsere Macht schwindet.«
»Dann könnten auch Stier, Skorpion oder Steinbock gewinnen«, warf Gaetano ein. »Unsere Familie regiert alle verbündeten Städte. Selbst die Waage, denn auch Bellona ist eine unserer Städte.«
Niccolò seufzte. Natürlich war es unerträglich, dass Remora all diese alten feudalen Bündnisse in sich vereinte. Doch die Tradition, dass jeder Bezirk mit einem der Stadtstaaten verbündet war, lag Jahrhunderte zurück und war viel älter als die Familie der Chimici. So etwas konnte man nicht über Nacht abschaffen. Alle Bürger waren natürlich Remaner, und wenn sie die Stadt verließen, hielten sie verbissen zu ihr. Aber innerhalb der Stadt regierte das ganze Jahr hindurch eine Art von Irrsinn – von einer Stellata bis zur nächsten. Ganz schlimm wurde es in den Wochen unmittelbar um das Rennen – da wurden die Straßen immer gefährlicher, je näher sie am Campo lagen. Weiter draußen bei den vierzehn Toren, wo die Stallungen lagen, waren die Menschen einigermaßen gelassen. Doch das tortenförmige Muster der Stadt brachte es mit sich, dass jeder Bezirk sich dolchartig zuspitzte und auf das Herz des Campos zielte. Am Tag der Stellata schließlich war es Selbstmord, die Grenzen seines eigenen Bezirks zu verlassen.
Es war ein Papst gewesen, der beschlossen hatte die Stadt nach dem Muster des Sternenkreises anzulegen. Damit hatte er versucht die Bevölkerung, die viel mehr an Astrologie als an die Kirche glaubte, für sich einzunehmen. Jahrzehnte hatte es gedauert, um alle Straßen und Plätze umzubenennen und die Wappen und Mottos und Fahnen jedes Bezirks durchzusetzen. Zu dem Zeitpunkt war der irre geleitete Papst schon längst tot gewesen. Doch die Remaner hatten das neue System nur zu gerne angenommen. Der nächste Papst, Benedict, hatte nichts weiter zu tun, als die breite, neutrale Straße und den berühmten Platz zu bauen
– den Rest erledigten die Bürger von alleine.
Vielleicht konnte ein neuer Papst die Stadt wieder ummodeln? Niccolò dachte an seinen Bruder, der in seinem bequemen Palast saß und der auf das Campo-Segment der Zwillinge hinaussah. Er konnte doch nach und nach Gesetze erlassen, die die übermäßige Loyalität zu einer anderen Stadt außer Remora unterbanden.
Niccolò sah seinem Sohn über dem geleerten Kuchenteller in die Augen. Ein unwilliges Zucken lief über seine aristokratischen Züge. Vielleicht wäre ja doch die Kirche die richtige Laufbahn für seinen unersättlichen Sohn gewesen? Mit der Zeit hätte er es sicher mit der Leibesfülle von Ferdinando aufnehmen können.
Doch Herzog Niccolò verstand es gut, seine Gefühle zu verbergen. »Entschuldige«, sagte er laut, »ich habe über das, was du gesagt hast, nachgedacht.«
»Aber das eigentlich Ärgerliche ist, dass ich nicht weiß, warum du mich
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