Stadt der Sterne strava2
gezwungen an der Handlung teilzunehmen. Sie wusste, wenn sie nach Talia zurückkehrte, würde sie von nun an eine aktive Rolle in dem Drama übernehmen, das dort ablief. Und jetzt wusste sie auch, dass es gefährlich sein würde.
In Paolos Haus herrschte völliges Durcheinander. Lucien war totenblass geworden, Cesare war entsetzt und sowohl Paolo als auch Dethridge waren ratlos.
»Kennst du sie?«, fragte Paolo und Lucien konnte das gerade bestätigen, da erschien Georgia wieder.
Lucien war der Einzige, der verstand, was passiert war. Er führte Georgia zu einem Stuhl und bat Paolo ihr etwas zu trinken zu bringen. Georgia saß schweigend da, trank gierig von dem Wasser, das man ihr reichte, und genoss das Gefühl, dass sich ihr Lucien zum ersten Mal richtig zuwandte.
Ihr war etwas schwindelig und sie wusste eigentlich nicht, warum sie in die gleiche Situation zurückgekehrt war. Es hatte Stunden gedauert, bis sie wieder eingeschlafen war – deshalb kam es ihr jetzt hier in Talia so vor, als habe jemand den »Pausenknopf« gedrückt und die Szene an dem Punkt angehalten, an dem sie sie verlassen hatte.
»Wenn du zweimal im selben Zeitabschnitt reist«, erklärte ihr Lucien, »am selben Tag oder in derselben Nacht, dann kommst du nur wenige Augenblicke nach deinem Verschwinden zurück.«
»Aber warum ist sie überhaupt verschwunden?«, fragte Cesare und sah Georgia argwöhnisch an, als sei sie ein Geist.
»Ich glaube, sie ist ohnmächtig geworden, als sie mich gesehen hat«, sagte Lucien. »Und sie hatte wahrscheinlich immer noch ihren Talisman in der Hand.
Wenn man in Talia das Bewusstsein verliert, während man den Talisman festhält, landet man in seiner Welt, auch wenn man gar nicht an zu Hause denkt. Eine Art Fehlsteuerung.«
Er sprach jetzt direkt mit Georgia und die nickte; es erschien ihr irgendwie logisch.
»Georgia kommt aus demselben Teil unserer Welt, aus dem ich gekommen bin«, fuhr Lucien fort. »Wir sind auf dieselbe Schule gegangen. Sie wusste, dass ich tot bin. Du hast wahrscheinlich gedacht, du siehst einen Geist«, wandte er sich wieder direkt an sie.
Georgia nickte wieder, war aber immer noch nicht in der Lage, etwas zu antworten.
»Darf ich mal deinen Talisman sehen?«, fragte Lucien.
Sie öffnete die Hand. Die Flügel hatten sich auf ihren Fingern abgedrückt und rote Stellen hinterlassen, so fest hatte sie das Pferdchen umklammert. Sie ließ zu, dass Lucien es nahm und untersuchte.
»Es sieht genau wie unsere Merla aus«, sagte Cesare.
»Ist sie in Sicherheit?«, wollte Georgia wissen. »Habt ihr sie fortgebracht?«
»Ja«, erwiderte Paolo. »Sie und Sternenlicht sind in Santa Fina. Wir hoffen, dass die Chimici sie dort nicht finden. Obwohl weiterhin ein Risiko besteht. Dummer
weise haben sie dort eine Sommerresidenz, aber solange sie die Stadt besuchen, werden sie sich dort nicht aufhalten. Und Roderigo können wir vertrauen.«
»Kann ich mal hin und sie besuchen?«, fragte Georgia.
»Ganz bestimmt«, sagte Paolo. »Es ist nicht weit. In ein paar Stunden bist du dort und wieder zurück.«
Lucien gab ihr die kleine Figur zurück. »Pass gut darauf auf«, sagte er. »Die Chimici wären genauso interessiert an deinem geflügelten Pferd wie an dem rich
tigen.«
»Und wie an der Maid selbst, meiner Treu, wenn sie denn eine Maid ist«, sagte Dethridge. Er hatte Georgias Ausstattung als Stallbursche mit einiger Verwunde
rung betrachtet.
»Hier in Talia ist sie ein Junge«, sagte Paolo, »auch wenn sie dort, wo sie her
kommt, ein Mädchen ist.«
»Ah!« Dethridge nickte. »Es ist eine Verkleidung. Ich verstehe. Solch eine Täu
schung gibt es bei uns in vielen der Schauspiele an unseren Theatern.«
»Warum redet er so seltsam?«, flüsterte Georgia Lucien zu.
Der lächelte. »Das ist, weil er aus dem Elisabethanischen Zeitalter unserer Welt stammt, das viereinhalb Jahrhunderte zurückliegt. Ich möchte dich Doktor Dethridge vorstellen, dem Begründer der Bruderschaft der Stravaganti. Hier in Talia heißt er allerdings Guglielmo Crinamorte und in Bellezza ist er ein berühm
ter Mann.«
Dethridge machte eine Verbeugung.
»Mein Name ist hier wohl Giorgio«, sagte Georgia.
»Mir hat man auch einen neuen Namen gegeben«, sagte Lucien. »Ich heiße jetzt Luciano Crinamorte. Dottore Crinamorte und seine Frau Leonora sind meine Zieheltern.« Rasch wandte er den Blick von Georgia ab.
Aber ihr war etwas anderes aufgefallen. »Es gibt etwas, das ich nicht verstehe«, sagte sie.
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