Stadt der Sterne strava2
Antwort war Schweigen, doch dann hörte Georgia ein gedämpftes Dröhnen von der Straße.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Einige Fragen lassen sich leichter beantworten als andere«, sagte Paolo. »Das ist der Klang der Trommler des Widders, die für die Stellata proben. Bis das Rennen stattfindet, wirst du sie jetzt öfters hören. Komm, wir gehen hinaus und du wirst schon sehen.«
Die Trommeln wurden lauter, sobald sie das Haus verlassen hatten. Georgia erkannte die kleine Gasse wieder, die auf den Platz mit dem silbernen Brunnen führte. Als sie dort ankamen, staunte sie. Die Piazza del Fuoco war voll mit wirbelnden rotgelben Fahnen, auf denen das Emblem des silbern gekrönten Widders zu sehen war. Zwei junge Männer warfen ihre Fahnen in komplizierten Figuren zum Klang eines Trommlers in die Luft.
Die Trommeln, die in allen Bezirken in den kommenden Wochen Tag und Nacht übten, sollten sich tief in Georgias Bewusstsein eingraben, sodass sie sie hörte, wo immer sie sich gerade befand, ob das nun in Remora oder in London war, im Bett oder in der Schule, beim Schlafen oder Wachen. Es war der Klang der Stellata. Jeder Bezirk hatte eine Gruppe junger Menschen, die dafür verantwortlich war, während der Prozession, die vor dem Rennen um den Platz ziehen würde, ein herrliches Spektakel zu liefern. Die Trommler und Fahnenträger würden jeder Gruppe voranschreiten, erklärte Paolo, und es war eine große Auszeichnung, dafür ausgewählt zu werden.
»Ist denn Cesare nicht dabei?«, fragte sie. Das war vielleicht die Erklärung für seine Abwesenheit.
»Nein. Cesare ist dieses Jahr zum ersten Mal unser Reiter. Aber er ist letztes Jahr bei der Parade mitmarschiert.«
Die Fahnenträger und Trommler verließen den Platz und schlängelten sich durch die engen Gassen des Bezirks, wobei der Klang mal lauter, mal leiser wurde.
Kleine Kinder rannten hinterher, verzaubert von dem Lärm und den Farben. Paolo und Georgia blieben jedoch auf dem Steinrand des Brunnens sitzen.
Es war ein idyllischer Anblick. Die leuchtende Sonne, der blaue Himmel, das sanft plätschernde Wasser und die malerische Umgebung erinnerten Georgia an die Reise-Sendungen im Fernsehen. Doch sie wusste, dass unter der Oberfläche Remoras mehr lauerte und dass der Schein trog. Sie konnte sich immer noch nicht vorstellen, dass sie eine der wichtigsten Spielfiguren im talianischen Machtkampf sein sollte. Ein bisschen war es, als würde man ein Computerspiel bekommen, ohne die Regeln zu kennen.
»Immer wieder erwähnen Sie die ›Bruderschaft‹ und alle Stravaganti, von denen ich gehört habe, außer mir, sind Männer«, sagte sie jetzt. »Sie, Senator Rodolfo, Doktor Dethridge – selbst Luciano. Bin ich die einzige weibliche Stravagante?«
»Nein, in Giglia gibt es eine sehr angesehene Stravagante namens Giuditta Miele.
Sie ist Bildhauerin. Und zumindest eine gibt es in Bellona, aber ich weiß nicht, wie sie heißt. Allerdings bist du die erste weibliche Stravagante, die aus eurer Welt in unsere kommt. Ich muss zugeben, ich war zuerst überrascht, vor allem weil du – wenn du mir verzeihst – eher wie einer unserer jungen Männer aussiehst. Aber der Talisman sucht sich nicht leichtfertig jemanden aus. Sie bringen uns immer den Menschen, den wir am dringendsten brauchen.«
Wenn ich nur wüsste, wozu, dachte Georgia.
Die Manusch befanden sich im Bezirk der Löwin. Nicht in den Stallungen, sondern in einem Haus in der Nähe, wo eine alte Manusch-Frau lebte, die Grazia hieß. Sie hatte, was ungewöhnlich für ihresgleichen war, einen Remaner geheiratet und ihrem Erbe entsagt. Sicher, sie erhob sich morgens immer noch und wandte das Gesicht der Sonne zu. Und wenn es Nacht wurde, verabschiedete sie sich gleichermaßen. Aber sie wohnte jetzt in einem Haus und hatte das fahrende Leben aufgegeben.
Inzwischen war sie, wenn auch noch hoch gewachsen und schön von Gestalt, eine weißhaarige Frau. In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte Grazia mit ihrem Mann in einer Hängematte auf der Loggia des Hauses geschlafen, damit ihre Kinder auch sicher unter den Sternen empfangen würden. Diese Kinder – vier Söhne und drei Töchter – waren inzwischen alle erwachsen und hatten selbst Kinder und alle außer einer Tochter hatten sich wieder der Lebensweise der Manusch zugewandt. Das lag wohl an dem Stern, unter dem sie geboren waren.
Aurelio und Raffaela brachten Grazia Nachrichten von ihren Kindern aus allen möglichen Gegenden Talias und wurden darum immer, wenn
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