Stadt der Sterne strava2
Georgia.
»Inzwischen gar nicht mal so schlecht«, sagte Alice. »Beim letzten großen Streit ging es um meine weiterführende Schule. Dad wollte, dass ich auf ein Mädcheninternat hier in der Nähe ginge und Mum war dagegen. Ihre Tochter und ein Privatinternat – auf keinen Fall. Sie ist jetzt Stadträtin in der Labour-Partei, verstehst du. Sie bestand darauf, dass die örtliche Gesamtschule gut genug sei; Mum und ich waren inzwischen nach Barnsbury gezogen. Es gab einen Riesenkrach, und als ich schließlich an der Internatsschule anfing, redeten sie kaum noch miteinander. Aber zufällig gefiel es mir dort überhaupt nicht und so hat Mum schließlich ihren Willen durchgesetzt und mich auf die Barnsbury-Gesamtschule gesteckt.«
»Und war ihre Entscheidung richtig?«, fragte Georgia.
»Na ja, ist doch nicht so schlecht, oder? Das Schwierige ist nur, dass ich das Gefühl habe, zwei verschiedene Leben zu führen.«
»Das trifft aber wohl auf jeden zu, dessen Eltern sich getrennt haben.«
»Schon, aber wenn du an Scheidungskinder in unserer Klasse denkst – Selina, Julie, Tashi oder Callum zum Beispiel –, die haben wenigstens beide Eltern in London. Wenn sie ein Wochenende bei ihren Vätern sind, ist das nicht so ein Umstand. Ich brauche Stunden, um herzukommen, und mein Wochenende besteht nur aus einem ganzen Tag. Aber ich bin so gern hier. Es hält mich davon ab, durchzudrehen, wenn ich in der Stadt bin. Eigentlich würde ich am liebsten ganz hier wohnen, aber das würde Mum nie erlauben. Deshalb komme ich mir so anders als die anderen vor; mein Vater ist nicht so wie die Väter von den anderen in der Schule. Ich würde sterben, wenn sie wüssten, wie unser Leben hier aussieht. Du bist die Einzige aus der Klasse, die ich jemals mitgebracht habe.«
Georgia fühlte sich geehrt. Vielleicht war es ja für sie leichter, weil sie sich an ihren Vater kaum erinnern konnte. Sie erzählte Alice auch von ihrer Familie, vor allem von Russell. Alice kannte ihn natürlich, zumindest vom Sehen, und sie überraschte Georgia ziemlich mit der Auskunft, dass es einige Mädchen in ihrer Klasse gab, die für ihn schwärmten. »Aber er ist doch ein Ekel!«, sagte Georgia.
Dann dachte sie darüber nach. Sie sah Russell immer nur mit abfälligem Gesichtsausdruck und hassverzerrten Zügen. Wenn er lächelte, sah er vielleicht gar nicht so schlecht aus. Er war groß und gut gebaut und hatte dichtes braunes Haar und braune Augen. Sie musste zugeben, dass er äußerlich nicht hässlich war. Aber ihr würde er immer so vorkommen, weil er charakterlich so verquer war. Er war das genaue Gegenteil von Gaetano, der ziemlich hässlich, aber so liebenswürdig war, dass jeder ihn mochte, der ihn kannte.
Am Spätnachmittag ritten die Mädchen dann langsam zur Farm zurück und übten auf der Koppel ohne Sattel zu reiten. Georgia konnte es zunächst besser als Alice, weil sie es in Remora bereits geübt hatte. Doch auch Alice wurde rasch besser. Ohne Sattel zu reiten, war völlig anders als mit einem. Zu Anfang war es unbequem, aber dann fühlte man sich viel mehr eins mit dem Pferd. Diese totale Einheit von Tier und Reiter hatte Doktor Dethridge wohl als Zentaur bezeichnet.
Georgia wollte am liebsten nur noch so reiten, wenn es um Tempo ging. Was Jean wohl sagen würde, wenn sie das für ihre Reitstunden vorschlagen würde?
In Talia verbrachte Lucien viel Zeit damit, Falco zu besuchen. Auch er entwickelte einen bestimmten Rhythmus, wie Georgia in Devon. Die frühen Morgenstunden verbrachte er mit seinen heimlichen Reitstunden, dann holte er Georgia im Widder ab. Meistens nahmen sie die Kutsche nach Santa Fina und verbrachten die Zeit mit Falco, um ihn auf die große Veränderung in seinem Leben vorzubereiten.
Kein Talianer hätte verstanden, worum es in den Lektionen ging – »Du musst in die Schule gehen«, sagte Georgia. »Und wenn du in meiner Nähe wohnst, dann wird das meine Schule sein, auf der auch Luciano war.«
»Du kommst in die neunte Klasse«, sagte Lucien. »Dann hast du ein ganzes Jahr, bevor du dich für deine Wahlfächer entscheiden musst. Du hast also erst mal alle Fächer.«
Georgia zählte sie an den Fingern auf: »Englisch – das wird kein so großes Problem werden, denn du hast die Sprache ja verstehen und sprechen können, als du drüben warst. Und lesen tust du auch ständig.«
Falco nickte. »Weiter«, sagte er.
»Dann Mathe, Chemie, Physik und Biologie.«
»Ein bisschen Mathematik und Astrologie habe ich
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