Stadt der Sterne strava2
nicht gleich in ein Krankenhaus gehen?«, fragte Falco.
»Noch nicht«, sagte Georgia. »Du musst ja erst mal bemerkt werden. Also, du weißt noch, was ich dir über deinen Gedächtnisverlust eingeschärft habe?«
Langsam gingen sie durch die Straßen von Islington und ließen sich diesmal viel Zeit dabei, damit sich Falco an die Autos und den Lärm gewöhnen konnte. Sorgsam erklärte ihm Georgia Verkehrsampeln und Zebrastreifen, statt ihm einfach nur über die Straße zu helfen.
Falco war an allem interessiert, vor allem an den Passanten. Er fand es schwierig, Männer von Frauen zu unterscheiden. »Sie tragen ja alle Beinkleider!«, flüsterte er. Im Gegensatz dazu nahm von ihm keiner Notiz. Wie sie selbst in Talia festgestellt hatte, achtete fast niemand auf Schatten, und dass Falco keinen hatte, fiel an einem grauen englischen Sommertag noch viel weniger auf als in dem hellen Sonnenschein von Remora.
Als sie sich ihrem Ziel näherten, zögerte Georgia ein wenig. Sie hatte den Augenblick oft überdacht und jetzt, wo es so weit war, wurde sie sehr nervös.
»Okay«, sagte sie. »Du bleibst hier draußen und ich geh rein und sag es ihnen.«
Das Pferd des Herzogs war dunkel vor Schweiß, als er in der Sommerresidenz eintraf. Er stieg ab, warf dem Stallknecht die Zügel zu und rannte immer über zwei Stufen auf einmal nach oben.
Lucien sprang vom Stuhl auf, als der Herzog die Tür aufstieß und auf das Bett zustürzte. Er riss seinen Sohn in seine Arme, doch der Körper des Jungen war schlaff und widerstandslos.
»Wo ist der Doktor?«, wollte Niccolò wissen. Es war schrecklich, ihn so außer sich zu sehen, und Lucien versuchte hinauszuschlüpfen, während die Diener erklärten, dass der Arzt unterwegs war.
»Warte!«, brüllte der Herzog. »Du da, Junge aus Bellezza! Bleib, wo du bist! Was weißt du von der Geschichte?«
»Ich habe heute Morgen die Unruhe gehört«, sagte Lucien wahrheitsgemäß.
»Und die Diener haben mir erzählt, was geschehen ist. Auch ich habe den Sohn Eurer Gnaden zu wecken versucht, aber ihn nur so vorgefunden. Seitdem habe ich hier Wache gehalten und auf den Arzt gewartet.«
»Warst du gestern Abend hier?«, fragte Niccolò.
Lucien nickte.
»Und was ist mit dem anderen, deinem Diener?«
»Mein Freund«, verbesserte Lucien den Herzog bestimmt. »Giorgio muss zum Widder zurückgekehrt sein. Und das würde ich auch gerne machen, um ihm erzählen zu können, was geschehen ist.« Er hatte mit Georgia ausgemacht, dass sie in Remora warten sollte, sobald sie wieder eingetroffen war.
Niccolò schüttelte heftig den Kopf. »Dann geh jetzt«, sagte er. »Aber wir sprechen uns noch. Vor allem, wenn meinem Sohn etwas zustoßen sollte.«
Schweren Herzens nahm Lucien die Kutsche nach Remora zurück.
»Ein Junge, der sein Gedächtnis verloren hat?«, fragte Vicky Mulholland ver
ständnislos.
Geduldig wiederholte Georgia ihre Geschichte. »Ja, wie ich gesagt habe. Er ist auf der Straße auf mich zugekommen, als ich hier vorbeikam. Ich hab bei Ihnen geklingelt, weil Sie die einzige Person sind, die ich hier in der Gegend kenne. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Er sieht total verwirrt aus – weiß nicht, wer seine Eltern sind oder wo er wohnt.«
»Und du glaubst nicht, dass er nur so tut?«
»Nein. Er kommt mir ein bisschen – komisch vor. Und er ist behindert. Er hat zwei Krücken… So, wie es ihm geht, kommt er nicht lange alleine durch. Ob wir die Polizei anrufen sollten?«
»Warte«, sagte Vicky und fuhr sich mit den Händen durch die Haare. »Ist er noch draußen?«
»Ich hab ihm gesagt, er soll warten, während ich Hilfe hole.«
»Vielleicht sollten wir ihn erst mal reinholen, bevor wir was unternehmen«, sagte Vicky.
Jawoll!, dachte Georgia. Das war genau das, worauf sie gesetzt hatte. Sie ging mit Vicky an die Haustür und winkte Falco zu. Er stand am Gartentor, wo sie ihn zurückgelassen hatte, stützte sich auf die Krücken und sah blass und erschöpft aus. Georgia hörte, wie Vicky scharf die Luft einzog, als sie seine dunklen Locken und die feinen, schönen Züge sah. »Magst du hereinkommen?«, fragte Vicky und Falco lächelte ihr zu.
Für Arianna war die Zeit gekommen, von Bellezza aufzubrechen. Sie sollte am zehnten August in Remora eintreffen, einen Tag bevor der Campo der Stadt in eine Rennbahn verwandelt wurde. Eine Duchessa musste allerdings stilvoll reisen
– in einer Staatskarosse, in gemäßigtem Tempo und mit Übernachtungen in Gasthöfen, damit sie
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