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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Kopf. »Nein, nein. Ich weiß schon, was ich sage.« Sie blickte auf. »Ich glaube, ich nehme doch lieber das Beruhigungsmittel. Ich möchte nichts trinken.«
    »Wie Sie wollen.«
    »Es – es wird gleich gut sein. Danke, daß Sie gekommen sind und mir eine Weile das Gefühl gaben, daß ich nicht allein bin. Aber – aber es gibt wohl nichts, was ich tun kann?«
    »Nichts, was Ihre Tochter wieder lebendig machen würde.«
    »Das meinte ich.« Sie erhob sich. »Geben Sie mir jetzt bitte das Beruhigungsmittel, dann werde ich mich ein wenig niederlegen.«
    Der Arzt nickte und wollte aufstehen.
    Sie sah ihm stirnrunzelnd zu. »Ist Ihnen nicht gut?«
    »Ich fürchte, ich habe ein wenig zu tief in Ihre Flasche geschaut.« Er stand nun aufrecht, aber sein Gang war schwankend, als er ins Wohnzimmer ging und in seiner Tasche nach den Pillen suchte. »Ich gebe Ihnen eine – zwei …« Er taumelte und hielt sich an einer Stuhllehne fest. »Nehmen Sie zuerst nur eine und dann später die zweite.«
    Sie brachte ihn an die Tür und sah, wie er sich an den Rahmen stützte. Wieder runzelte sie die Stirn, dann bemühte sie sich zu scherzen. »Sagen Sie Ihrer Frau lieber nicht, wieviel Sie bei mir getrunken haben.«
    Er erstarrte plötzlich. Schließlich drehte er sich ihr voll zu. »Ich sollte es Ihnen vielleicht lieber sagen«, murmelte er mit schwerer Zunge. »Ich habe Ihnen die Pillen unberechtigterweise gegeben. Und was meine Frau betrifft, sie wird es nicht erfahren, denn sie hat mich verlassen.«
    Sie blickte ihn erstaunt an.
    »Vorige Woche stand ich vor Gericht und wurde wegen Drogenmißbrauchs verurteilt – jemand, dem ich ein Mittel verschrieben hatte, starb.« Er straffte die Schultern und schwankte zur Treppe. Benommen blickte sie ihm nach, ehe sie in ihre leere Wohnung zurückkehrte.
    Das Abbild deines Auges in Juwelen gefaßt. Außerhalb der einsamen Gefilde des Schlafes beobachtet der Akrobat, der Dieb, der Narr das Wirken der Ambitionen, des Todes und Leides. Prächtig und isoliert, dann träume.
    Der König blickte auf seine Kusine am Fenster, die abwesend mit dem rauchigen Stein an der Silberkette um ihren Hals spielte. Petra zog die Vorhänge vor und drehte sich ganz zu ihm um. Ihr rotes Haar hing, nur durch einen goldenen, hummerförmigen Kamm gehalten, wie ein seidener Fächer über die Schultern. »Was ist, Petra?« fragte er.
    »Was ist was, mein König?«
    »O bitte, Petra, tu nicht so förmlich. Sei ganz einfach meine Kusine wie früher, als du mir Geschichten erzähltest.«
    Die Herzogin lächelte. »Let, mir sind die Geschichten inzwischen ausgegangen.«
    »Dann erzähle mir die Wahrheit. Was bedrückt dich?«
    »Ich erwähnte doch den ›Feind, der durchdreht‹.« Sie setzte sich auf die Couch. »Du hast in den Ratssitzungen teilgenommen und deine Sache großartig gemacht. Du hast ruhig und sachlich argumentiert, wo ich die Minister angebrüllt hätte. Let …«
    »… Während du neben mir, als meine Ratgeberin gesessen hast. Ich wollte, sie würden dir eine Stimme geben. Die ganze ruhige Argumentierung war ja nur dir zu verdanken, da wir vorher alles genau durchgegangen sind. Ich habe doch gesehen, wie es in dir kämpfte, wie gern du gesprochen hättest. Vielleicht sind deine Nerven deshalb jetzt zum Zerreißen gespannt.«
    Sie lachte. »Was meine Nerven betrifft, hast du recht. Aber es ist schon gut so, daß nur du das Wort führen darfst. Du weißt dich erstaunlich gut auszudrücken.«
    »Aber ich bin erst siebzehn und mir bewußt, daß die Ratsmitglieder mich noch für ein Kind halten. Weißt du, manchmal höre ich geradezu, wie du denkst: ›Wenn das Protokoll mir nur gestattete, etwas zu sagen‹.« Er seufzte. »Aber das ist nicht alles, was ist das andere?«
    Petra schwieg einen Augenblick, dann murmelte sie: »Manchmal habe ich das Gefühl, daß du bei den Waldwächtern auch Gedankenlesen gelernt hast.«
    »Ich habe gelernt, genau zu beobachten, und ich beobachte dich. Wirst du mir jetzt sagen, was es ist?« Seine Stimme war sowohl ruhig als auch bestimmt.
    Sie erhob sich und trat wieder ans Fenster. Eine Brise ließ das weiche blaue Cape um ihre Schultern flattern. »Zweifel, Let«, sagte sie. »Große, ernsthafte Zweifel.«
    »Was bezweifelst du denn, Petra?«
    »Dich, mich.« Sie deutete durch das offene Fenster auf die Lichter der Stadt. »Diese Insel, das ganze Reich – wir sind dafür verantwortlich. Und ich zweifle an uns, Let.« Wieder schob sie die Vorhänge vor. »Let«, sagte sie

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