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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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Vogel im lila und orangeroten Trainingsanzug. Sie winkte zum Abschied, nahm Laura Jenkins’ Korb und trug ihn in die Küche.
    Das Letzte, was sie jetzt brauchte, war etwas zu essen. Trotzdem schnitt sie sich eine Scheibe Rosinenbrot ab und legte sie auf dem Küchentisch auf eine Serviette. Während sie den restlichen Kaffee erwärmte, holte sie den Karton aus dem Flur.
    Sie hatte erwartet, Fotos, Karten oder andere Familienerinnerungen zu finden, doch der Karton war voller Zeitungsausschnitte.
    Neugierig begann sie die Artikel durchzusehen. Alle betrafen dasselbe Ereignis aus dem Jahr 1988. Der Sommer, in dem sie fünfzehn geworden war.
    Sie erinnerte sich vage an die Geschichte. Eine Frau aus Cypress Springs, Sallie Waguespack, war in ihrem Apartment erstochen worden. Die Täter waren zwei Teenager unter Drogen. Das Verbrechen führte zu einem allgemeinen Aufschrei und veranlasste die Stadt zu einem Kreuzzug gegen kriminelle Machenschaften.
    Avery zog die Stirn kraus. Warum hatte ihr Vater die Ausschnitte gesammelt? Sie nahm einen und betrachtete das körnige, vergilbte Bild von Sallie Waguespack. Sie war eine hübsche Frau gewesen und noch sehr jung, als sie starb. Erst zweiundzwanzig.
    Warum hatte ihr Vater diese Ausschnitte all die Jahre aufbewahrt? War er mit ihr befreundet gewesen? Sie konnte sich nicht erinnern, ihren Namen vor dem Verbrechen gehört zu haben. Vielleicht war er ihr Arzt?
    Möglicherweise lag die Antwort ja auch in den Artikeln selbst.
    Sie nahm alle Ausschnitte heraus und ordnete sie nach Datum. Sie umfassten einen Zeitraum von Juni bis September 1988.
    Brot und Kaffee vergessend, begann sie zu lesen. Allmählich kehrten Erinnerungsfetzen zurück. Am 18. Juni war die junge Kellnerin Sallie Waguespack von zwei unter Drogen stehenden Teenagern in ihrem Apartment erstochen worden.
    Die Pruitt-Brüder, wie sie sich erinnerte. Sie waren etwas älter als sie, aber sie hatte sie noch auf der High School erlebt, ehe sie abgingen, um in der Konservenfabrik zu arbeiten.
    Die beiden waren noch in derselben Nacht bei einer Schießerei mit der Polizei getötet worden.
    Wie hatte sie das nur vergessen können? Der Vorfall war monatelang Hauptgesprächsthema in der Schule gewesen. Sie erinnerte sich, wie schockiert, entsetzt und tieftraurig sie gewesen war. Die Pruitt-Brüder kamen aus der falschen Gegend, oder wie man hier sagte, von der falschen Seite des Baches. Der Bach war nichts weiter als ein zwei Meilen langer Entwässerungsgraben, den man gezogen hatte, um die tiefer liegenden Gebiete vor Überflutungen zu schützen. Letztlich war er jedoch zu einer Trennlinie zwischen dem guten und dem schlechten Teil der Stadt geworden.
    Es waren wilde Jungs gewesen, die sich mit ebenso wilden Mädchen herumgetrieben hatten, Bier tranken und Pot rauchten. Sie hatte immer einen großen Bogen um diese Clique gemacht.
    Dennoch war ihr, der behüteten Fünfzehnjährigen, die Tragik des Falles nicht entgangen. Alle Beteiligten waren noch sehr jung gewesen. Wie hatte ihr Leben nur so schief gehen können? Und das in einem sicheren Ort wie Cypress Springs?
    Genau diese Frage hatten sich auch alle anderen Bürger gestellt, merkte sie bei der Lektüre der Artikel. Die zerfielen in zwei Gruppen: die Berichterstattung über das Verbrechen und seine Aufklärung und die Zuschriften empörter Bürger aus Cypress Springs. Sie verlangten Veränderung, Verantwortung und vor allem eine Rückkehr zu den traditionellen Werten, die aus Cypress Springs einen guten Ort gemacht hatten, um hier Kinder aufzuziehen.
    Den Ausschnitten nach zu urteilen hatten sich die Gemüter allmählich wieder beruhigt. Der Ton in den Zuschriften war nicht mehr so heftig, und schließlich endeten sie. Oder ihr Vater hatte aufgehört, sie zu sammeln.
    Avery lehnte sich zurück, griff nach ihrem Kaffee und trank. Er war kalt und bitter. Das Gesicht angewidert verzogen, stellte sie die Tasse ab. Die Artikel lieferten ihr keinen Anhaltspunkt, warum ihr Vater sie gesammelt hatte.
    Sie erinnerte sich jetzt deutlicher an die Zeit. Ihre Eltern hatten zwar wie alle über den Fall gesprochen, aber nicht sonderlich intensiv. Ihr war damals nicht aufgefallen, dass ihr Vater ein ungewöhnliches Interesse an dem Vorgang hatte.
    Diese Sammlung besagte jedoch etwas anderes.
    Sie sah auf die Uhr. Fast Mittag. Vielleicht wusste Buddy mehr. Wenn sie sich beeilte, konnte sie vor ihrer Verabredung mit Danny Gallagher um zwei noch bei der Polizei vorbeischauen.

6. KAPITEL
    Das

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