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Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
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jeder im Kreisgebiet kannte ihn in der einen oder anderen Weise. Er hat meiner Schwester durch eine schwere Zeit geholfen.“ Er senkte die Stimme. „Gebärmutterhalskrebs. Auch nachdem sie schon bei einem Onkologen in Behandlung war, hat er sie noch durch die Krankheit begleitet.“
    Genau die Sorte Arzt war er. Ihm war es immer um die Patienten und ihre Gesundheit gegangen, niemals um Geld.
    „Danke“, erwiderte sie. „Ich denke auch, dass er ein guter Mensch war.“
    Kurz blickte er auf ihre Kladde. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
    Sie faltete die Hände. „Wie schon gesagt, habe ich bei der Totenwache meines Vaters mit John Price gesprochen. Er schlug mir vor, mich mit Ihnen zu unterhalten. Ich bin neugierig … wegen der Todesumstände.“
    „Das verstehe ich nicht.“
    Fragend schaute sie ihn an. „Darf ich ganz offen sein?“
    „Natürlich.“
    „Danke.“ Sie atmete tief durch, suchte nach den richtigen Worten und hatte keineswegs vor, offen zu sein. „Ich habe einige Schwierigkeiten, den Tod meines Vaters zu akzeptieren. Ihn … zu verstehen. Ich dachte, wenn Sie mir genau erzählen könnten, was Sie am Brandort gesehen haben … könnte ich … würde es mir helfen, dieses Unglück zu verkraften.“
    Seine Miene wurde sanft vor Mitgefühl. „Was möchten Sie wissen?“
    „Was Sie gesehen haben, wie Sie ermittelt haben und Ihre offizielle Einschätzung.“
    „Sind Sie sicher, dass Sie das hören möchten?“
    Sie verschränkte die Finger fester ineinander. „Ja.“
    „Brandsachverständige ermitteln, wie der Brand entstanden ist, wo er begann und wie lange es brannte. Welcher Brandbeschleuniger benutzt wurde, erkennen wir am Weg des Feuers, an seiner Hitze und an der Branddauer.“
    „Und was hat das Feuer meines Vaters Ihnen verraten?“
    „Ihr Vater benutzte Diesel, der im Gegensatz zu Benzin schwerer entflammt, dafür aber intensiver und länger brennt. Für seine Zwecke war Diesel die bessere Wahl.“
    „Erfüllt ein anderer Brennstoff dieselben Merkmale?“
    „Jetkraftstoff. JP-5 für Gewerbe. Brennt auch heißer, ist aber schwerer zu bekommen.“ Er machte eine Pause, um seine Gedanken zu ordnen oder die richtigen Worte zu wählen. „Sind Sie vertraut mit dem Tod durch Verbrennen?“
    „Frischen Sie mein Gedächtnis auf.“ Da er zögerte, erklärte sie leicht vorgebeugt: „Ich bin Journalistin. Geben Sie mir die Fakten. Ich kann damit umgehen.“
    „Also gut. Zunächst mal, der Körper verbrennt nicht zu Asche wie bei der Verbrennung im Krematorium. Ein Hausfeuer brennt beispielsweise bei etwa tausend Grad. Damit ein Körper ganz verbrennt, braucht man etwa tausendsiebenhundert Grad. Der Körper behält seine Form. Die Haut verbrennt, löst sich aber nicht ganz auf. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Bereiche mit weichem Gewebe das Feuer überstehen. Es setzt ein Schrumpfungsprozess ein“, fuhr er fort. „Ein zweihundert Pfund schwerer Mann wiegt in verbranntem Zustand vielleicht noch einhundertfünfzig. Kleidung, Fleisch und Haare verbrennen. Die einzelnen Partien des Gesichts, einschließlich der Lippen, bleiben erhalten, sind allerdings völlig schwarz. Im Allgemeinen ist von den ursprünglichen Gesichtszügen nichts mehr zu erkennen.“
    So etwas kann Dad einfach nicht getan haben, oder doch?
    „Wie oft sehen Sie einen Selbstmord, der auf diese Weise durchgeführt wird?“
    „Fast nie.“
    „Warum nicht?“ fragte sie, obwohl sie dazu ihre eigenen Ansichten hatte. Durch ihren Beruf hatte sie gelernt, wie wichtig es war, dem Befragten nicht die Antwort in den Mund zu legen.
    „Verstehen Sie bitte, ich bin kein Psychologe, sondern Experte für Brände. Alles, was ich Ihnen dazu sagen kann, ist meine persönliche Meinung und basiert nicht zwangsläufig auf Fakten.“
    „Ich möchte es trotzdem hören.“
    „Die meisten Selbstmörder möchten es hinter sich bringen. Es soll schnell und schmerzlos vonstatten gehen.“ „Und zu verbrennen ist das genaue Gegenteil.“ „Meiner Meinung nach ja.“
    Avery blickte kurz auf ihre Kladde und dann wieder zu dem Mann. „Glauben Sie, mein Vater kannte den Unterschied in der Brennweise von Diesel und Benzin?“
    „Das weiß ich nicht. Vielleicht hat er den Diesel gewählt, weil er ihn zur Hand hatte.“
    „Er hat das Zeug aus dem Tank seines Mercedes abgezogen?“
    „Ja.“
    „Sie haben Brandstiftung ausgeschlossen. Gab es da keinen Zweifel für Sie?“
    „Keinen. Wie schon gesagt, wenn wir dem Weg des Feuers folgen, erzählt

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