Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt des Schweigens

Stadt des Schweigens

Titel: Stadt des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margret Krätzig Erica Spindler
Vom Netzwerk:
Seine Familie? Die anderen Leute?
    Ihr Vater mochte ihn.
    Sie sank auf die Verandaschaukel und blickte in den Regen, den Mund zu einem leichten Lächeln verzogen. Der Kommentar des alten Farmers hätte ihr gleichgültig sein sollen, doch er tat ihr wohl. Ihr Vater war stets ein ausgezeichneter Menschenkenner gewesen. Oft genug hatte sie sich um Rat an ihn gewandt. Sie mochte Hunter auch, trotz ihrer letzten Konfrontationen. Eigentlich hatte sie ihn schon immer gemocht, vor allem seine Intelligenz, seinen Witz und den trockenen Humor. Sie erinnerte sich an die vielen Male, als er ihr in Mathe geholfen hatte, ein Fach, das ihr damals schwer zu schaffen machte. Hunter hatte sie zum Lachen bringen können, auch wenn ihr gar nicht danach gewesen war. Sie dachte daran, wie er sie nach einem besonders unerfreulichen Streit mit ihrer Mutter umarmt und beruhigend auf sie eingeredet hatte. Er hatte sie unterstützt, ihr aber zugleich die Augen für den Standpunkt ihrer Mutter geöffnet.
    War Matt an jenem Tag beschäftigt gewesen, oder hatte sie sich instinktiv an Hunter gewandt, weil sie Trost von ihm erwartete?
    Als erwachsener Mann fühlte er sich offenbar immer noch absoluter Ehrlichkeit verpflichtet – gegenüber sich selbst und seinen Fehlern und gegenüber anderen. Das machte den Umgang mit ihm vermutlich nicht leicht. Und zudem war er immer konfrontationsbereit.
    Cypress Springs honorierte jedoch kein unangepasstes Verhalten. Leute wie du und ich, so etwas mochte man, die gaben Sicherheit. Avery jedoch war hier immer ein Außenseiter gewesen, genau wie Hunter.
    Blitze zuckten auf, Donner rollte über den Himmel, und es goss in Strömen. Avery dachte daran, wie Matt und Buddy jetzt durchnässt und frierend an Tillers Teich standen und dafür sorgten, dass der Wagen aus dem Wasser gezogen wurde. Hatte Hunter es rechtzeitig nach Hause geschafft? Er hatte Sams Angebot, ihn zu fahren, abgelehnt, weil er seinen Lauf beenden wollte.
    Sie dachte an Matts Bemerkung zu Hunter, er sei überall dort, wo etwas los sei. Damit hatte er wohl auf die Entdeckung von Elaine St. Claires Leiche angespielt. Sein Ton war feindselig gewesen, doch Hunter hatte den Köder nicht geschluckt.
    Matt hatte sie kaum eines Blickes gewürdigt. Buddy ebenso wenig. Matt hatte sie auch kaum befragt und lediglich eine Bemerkung zu dem heraufziehenden Sturm gemacht.
    Sie blickte an sich hinab. Die feuchte weiße Baumwollbluse war so gut wie durchsichtig, und ihr fliederfarbener BH darunter deutlich sichtbar.
    Na toll, Chauvin. Das hast du gut hingekriegt.
    Nach einem letzten Blick in den Regen ging sie ins Haus. Das Telefon klingelte, und sie schnappte sich den Hörer.
    Augenblicklich wusste sie, wer am anderen Ende war, und deshalb ließ sie die Frau erst gar nicht zu Wort kommen. „Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir?“
    „Sie in die Hölle verdammen“, erwiderte die Frau mit belegter Stimme und lachte gemein auf. „Dein Vater ist schon da!“
    „Mein Vater war ein guter Mensch. Er …“
    „Er war ein Lügner und ein Mörder. Er hat gekriegt, was er verdient hat.“
    „Was fällt Ihnen denn ein!“ empörte sich Avery laut. „Mein Vater war ein Heiliger. Er …“
    Die Frau begann zu lachen wie eine böse Hexe.
    Mit einem Aufschrei warf Avery den Hörer auf die Gabel. Sofort gab sie die Nummer der Stevens’ ein. Cherry kam an den Apparat.
    „Cherry, ist Buddy da?“
    „Avery? Alles in Ordnung bei dir?“
    „Ja … ich …“ Sie atmete tief durch, das schreckliche Lachen noch in den Ohren. „Ist er da?“
    „Nein. Er ist noch mit Matt an Tillers Teich. Soll ich ihn anpiepsen?“
    „Nein, so dringend ist es nicht. Könntest du ihm sagen, er soll mich anrufen, wenn er zurückkommt? Es ist wichtig.“
    Stattdessen rief Cherry Matt an, wie Avery einige Stunden später feststellte, als er besorgt vor ihrer Tür stand. „Was ist los?“
    „Cherry hat dir gesagt, dass ich angerufen habe.“
    „Sie sagte, du wärst aufgeregt gewesen.“
    Das war ihr jetzt peinlich. In den letzten Stunden hatte sie die Wichtigkeit des Anrufes zunehmend angezweifelt. „Ich habe überreagiert.“ Sie zog die Tür weiter auf. „Komm herein.“
    Matt trat ein. Er hatte seine Uniform gegen Jeans und ein weißes Golfhemd getauscht, das Nacken und Arme besonders gebräunt erscheinen ließ.
    Er sah sie an und wiederholte: „Was ist los?“
    „Hatte mein Vater Feinde?“
    Die Frage überraschte ihn sichtlich. „Feinde? Nicht, dass ich wüsste. Warum?“
    „Ich

Weitere Kostenlose Bücher