Stadt, Land, Kuss
sechs. Und der Aufdruck auf dem Karton passt perfekt – sieht nicht so aus, als wäre der noch lange haltbar.«
Wir geben Freddie eine Infusion, verabreichen ihm Antibiotika und säubern ihn, dann setzen wir ihn in den Isolierkäfig unter der Treppe im Flur zur Waschküche.
»Huch, tut mir leid«, entschuldigt sich Izzy, als sie ihre Plastikschürze an den Haken an der Außenseite des Käfigs hängt und mich dabei mit dem Ellbogen anstößt.
»Sie können doch nichts dafür«, sage ich. »Hier drin kann man sich ja kaum umdrehen.«
»Eigentlich war ja auch ein separater Bereich für Patienten mit ansteckenden Krankheiten geplant. Aber die Fox-Giffords vom Talyton Manor haben das verhindert. Sie haben Bürgerversammlungen einberufen und Unterschriften gesammelt, damit Emma keine Baugenehmigung für eine Erweiterung hinter der Praxis bekommt. Der alte Fox-Gifford soll ein Vermögen für Whisky ausgegeben haben – angeblich als Bestechung. Allerdings habe ich keine Ahnung, warum er sich überhaupt eingemischt hat. Ein paar zusätzliche Quadratmeter hätten doch niemandem geschadet.«
Nicht zum ersten Mal bewundere ich Emma für ihre Entschlossenheit, diese Praxis aufzubauen. Das Otter House war ihr Elternhaus. Ihr Vater hatte dort eine Zahnarztpraxis, ehe er auf dem Golfplatz von Talysands tödlich vom Blitz getroffen wurde, als Emma erst dreizehn Jahre alt war. Ihre Mutter ist hier vor fast vier Jahren an einer besonders aggressiven Form von Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Es war ihr letzter Wunsch, dass Emma das Haus umbauen lassen solle, um in ihrem Geburtsort eine erfolgreiche Tierarztpraxis führen zu können.
»Emma hat Ihnen sicher gesagt, dass Sie mich jederzeit anrufen können, wenn Sie außerhalb der Sprechzeiten Hilfe brauchen«, wechselt Izzy das Thema. »Haben Sie … oh, vielleicht sollte ich das nicht fragen …«
»Nein, nein, fragen Sie nur.«
»Haben Sie einen Freund oder Lebensgefährten? Falls Sie abends mal ausgehen wollen, kann ich die Anrufe für Sie entgegennehmen.«
Ich schüttele den Kopf und versuche Mikes Bild zu verscheuchen, das plötzlich vor mir auftaucht. Mein Mike, nicht der Mistkerl, der mich mit seiner Exfrau betrogen hat, sondern der Mann, in den ich mich verliebt habe, der Mann, der mir das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein und geliebt zu werden.
»Das Nachtleben hier in Talyton ist nicht gerade das, was Sie von London gewohnt sind – hier gibt’s mehr Fledermäuse und Eulen als Nachtclubs, aber wenn Sie neue Leute kennenlernen wollen, könnten Sie wandern gehen oder in den Frauenverein eintreten. Und im Chronicle gibt es Anzeigen der Countrylovers Partnervermittlung, falls Sie auf der Suche nach jemand ganz Besonderem sind«, plaudert sie fröhlich weiter.
Ich versuche die Mischung aus Verlegenheit und Schmerz hinunterzuschlucken, die in meiner Kehle aufsteigt. »Ich bin ganz sicher nicht auf der Suche nach einem einsamen Bauern«, entgegne ich leichthin.
»Aber Sie sind auf der Suche?«
»Nein«, antworte ich entschlossen. Ganz bestimmt nicht. Eine solche Zurückweisung würde ich nicht noch einmal überstehen. Ich habe so etwas nicht nur einmal, sondern sogar schon zweimal erlebt, und das genügt. Ich streichle Freddie ein letztes Mal, ehe ich die Handschuhe abstreife. »Ach, haben Sie vielleicht irgendwo mein Stethoskop gesehen?«
Izzy starrt mich an. »Es hängt um Ihren Hals.« Sie grinst. »Emma hat mich gewarnt, dass Sie ein bisschen schrullig sind.«
»Ach ja?«, gebe ich pikiert zurück. Aus dem Mund von jemandem, den ich kaum kenne, ist mir diese Bemerkung doch etwas zu persönlich.
»Entschuldigung, ich wollte Sie nicht beleidigen«, sagt Izzy hastig.
»Schon gut.« Schließlich hat sie ja recht.
»Immerhin können Sie gelegentliche blonde Momente auf Ihre Haarfarbe schieben. Ist dieser Golden-Retriever-Ton eigentlich echt oder gefärbt?« Izzy schlägt sich die Hand vor den Mund. »Oh Gott, nicht schon wieder!« Sie kichert. »Wann lerne ich endlich, einfach mal den Mund zu halten?«
Mit Izzy ist es wie mit Marmite, sinniere ich kurz darauf, als ich im Behandlungsraum die gelben Post-its prüfe, die Emma auf die Schubladen und die Schranktüren geklebt hat, damit ich weiß, wo alles ist. Entweder man mag sie oder man kann sie nicht ausstehen, dazwischen gibt es nichts. Da ich in den kommenden sechs Monaten eng mit ihr zusammenarbeiten werde, trifft es sich gut, dass es bei mir vermutlich auf Ersteres hinausläuft.
Ich lächle vor mich
Weitere Kostenlose Bücher