Stadt, Land, Kuss
TV-Hundetrainerin aus It’s me or the dog abgeschaut habe. Angeblich kann man damit selbst den aggressivsten Hund auf der Stelle erstarren lassen – zumindest tun sie immer so. Der Junge starrt mich an. Glänzende Schneckenspuren aus Rotz ziehen sich über seine Wangen. »Leg das sofort wieder zurück und mach die Tür zu.«
Er zögert.
»Hast du das Schild vorne am Schwarzen Brett nicht gesehen?«, frage ich ihn. »Vorsicht, bissiger Tierarzt!«
Er schüttelt so energisch den Kopf, dass blonde Strähnen an den Schneckenspuren kleben bleiben. Ohne mich aus den Augen zu lassen, bückt er sich, hebt die Schachteln wieder auf und legt sie zurück in den Kühlschrank.
»Danke. Wie heißt du?«
»Ryan«, flüstert er zerknirscht.
»Okay, Ryan, du kannst herkommen und mir dabei helfen herauszufinden, was mit eurem Hund los ist.«
»Er ist seit ein paar Tagen ungewöhnlich still«, meint Lynsey, auch wenn Cadbury, der auf dem Tisch herumhüpft und alles vollsabbert, auf mich einen ziemlich fröhlichen Eindruck macht. »Er frisst zwar, aber er kann nichts bei sich behalten.«
Cadbury macht es mir nicht gerade leicht, ihn zu untersuchen. Er hält das Ganze für ein Spiel, doch mit einem Mal bleibt er reglos stehen und schaut mich traurig an.
»Wahrscheinlich hat er etwas Falsches gefressen«, vermute ich, woraufhin der Hund zu würgen beginnt und ein schaumiges, dunkles, wurstförmiges Etwas auf den Tisch spuckt. Fasziniert sehen die Jungen zu.
»Mami, das ist meine Socke«, sagt Ryan.
Ich gebe Cadbury eine Spritze, um seinen Magen zu beruhigen, dann streife ich ein Paar Handschuhe über und spüle den Stein des Anstoßes am Becken ab. Es ist tatsächlich eine Socke. Unversehrt strahlt uns Thomas, die kleine Lokomotive, an.
»Mami hat sich auch übergeben, genau wie Cadbury«, bemerkt Sam.
»Das liegt aber ganz bestimmt nicht daran, dass ich Socken gegessen hätte, Sam.« Lynsey lächelt. Ich mag sie. Sie ist freundlich und herzlich, und es scheint sie nicht im Geringsten zu stören, dass ich vor ihr stehe und nicht Emma.
»Das Siebte ist unterwegs – ich brauche Stewart nur anzusehen, und schon bin ich schwanger. Aber wenn es diesmal wieder kein Mädchen ist, schicke ich es postwendend zurück. Danke – Maz, nicht wahr?«, fährt sie fort, nachdem ich meine Glückwünsche gemurmelt habe, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Glückwünsche in diesem Fall wirklich angebracht sind. »Es ist so schön, eine Praxis direkt vor der Haustür zu haben. Und wie hübsch es hier ist!«
»Es ist sauberer als bei uns zu Hause, Mami«, unterbricht sie Sam.
»Kannst du denn nichts für dich behalten?« Lynsey seufzt. »Was sagte ich gerade? Ach ja, Sie und Emma sind auch viel netter als der alte Fox-Gifford – er jagt den Jungs immer eine Heidenangst ein. Nachdem er letztes Mal auf dem Hof war, hat Ryan wieder angefangen, ins Bett zu machen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich ihm das wieder abgewöhnt hatte.«
»Sie wohnen auf der Barton Farm, nicht wahr?«, frage ich. »Ich habe mal ein paar Wochen dort gearbeitet, für Mr Pitt …«
»Das war sicher mein Schwiegervater. Stewart nennt sich nie so«, unterbricht sie mich.
»Es war am Anfang meines Studiums, in der Vorklinik. Emmas Mutter hatte den Kontakt hergestellt, ich habe damals den Sommer bei ihr im Otter House verbracht.« Ich erinnere mich an Stewart – er war ein paar Jahre älter als ich. Und jetzt fällt mir auch wieder ein, dass er einen gewissen Ruf als Schürzenjäger hatte. Nicht dass er sich jemals an mich rangemacht hätte, aber das lag wahrscheinlich daran, dass ich während meiner Zeit dort meistens in einem unvorteilhaften grünen Overall herumgelaufen bin und nach Kuh stank.
»Das muss vor meiner Zeit gewesen sein. Stewarts Eltern sind Gott sei Dank in Rente gegangen. Sein Vater gehört zu den Menschen, die immer recht haben, auch wenn sie falschliegen«, sagt Lynsey. »Nochmals danke.«
»Nichts zu danken. Dafür bin ich ja da.« Ich liebe meine Arbeit, nie zu wissen, was als Nächstes kommt, den Adrenalinschub bei einem Notfall, die Höhen und sogar manche der Tiefen. »Haben Sie eigentlich schon über eine Kastration nachgedacht?«
Sie sieht sich nach ihren Söhnen um und lacht. »Ehrlich gesagt denke ich sogar ziemlich oft daran, aber Stewart ist nicht allzu begeistert von der Idee. Was Cadbury angeht, werden wir sehen. Wie viel schulde ich Ihnen?«
Ich setze mich an den Computer im Sprechzimmer. Emma hat alle Leistungen einzeln
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