Stadt, Land, Kuss
lieber, bis Emma wieder zurück ist.«
»Haben Sie ihr die Situation denn nicht erklärt?« Diese Reaktion schmerzt mich ein wenig. Ich weiß, dass ich es nicht persönlich nehmen sollte – wenn ich selbst Haustiere hätte, wäre ich wahrscheinlich genauso wählerisch – , aber ich hätte zumindest erwartet, dass Emmas Kunden ihrem Urteil vertrauen.
»Ich habe ihr gesagt, dass Ginge bis dahin tot sein könnte, doch sie hat sich einfach nicht umstimmen lassen. Was soll ich denn noch tun? Ich kann sie ja schließlich nicht zwingen.«
Ich lasse das Thema fallen und verzichte auch darauf, sie zu bitten, die Zeitung wegzulegen. Man sollte es sich nicht gleich am ersten Tag mit seiner Sekretärin verderben.
»Da kommt Ihr Neun-Uhr-dreißig-Termin«, sagt Frances und schaut über meine Schulter. »Mrs Moss und ihre Tochter Sinead. Sie sind zum ersten Mal bei uns.«
Ich sehe meinen ersten Kunden entgegen. Mrs Moss trägt ein zeltähnliches grünes Kleid, und Sinead hat ihr dunkles Haar zu einem straffen Zopf nach hinten gezerrt. Sie trägt einen offenen Pappkarton, auf dessen Seite OBEN und VERDERBLICHE LEBENSMITTEL aufgedruckt ist. Vorsichtig führe ich sie ins Sprechzimmer, wo Izzy schon wartet, um mir zu assistieren.
Mrs Moss hält ein Taschentuch vor die Nase gedrückt, und Sinead trägt den Karton auf Armeslänge vor sich her, ehe sie ihn behutsam auf dem Behandlungstisch absetzt. Der Gestank lässt mich würgen. Ich wappne mich gegen das, was mich erwartet, und schaue in den Karton. Ein verzweifelt dreinschauender Tricolour-Collie-Welpe sitzt verängstigt auf dem Boden. Sein gekräuseltes Maul erinnert mich an Snoopy von den Peanuts. Glänzende Speichelfäden hängen von seinen Lefzen auf den Saum einer blutbefleckten Babydecke hinab.
Mrs Moss erklärt mir, dass der Welpe Freddie heiße und elf Wochen alt sei. Sie haben ihn im Urlaub in Wales auf einem Bauernhof gekauft.
»Hat er schon seine ersten Impfungen bekommen?«, frage ich.
Sinead steht Kaugummi kauend neben ihrer Mutter und spielt an ihren riesigen goldenen Ohrringen herum. Ich wiederhole die Frage, aber Mutter und Tochter Moss bleiben stumm, ihre Mienen sind ausdruckslos.
»Das ist wirklich wichtig«, dränge ich, worauf Mrs Moss endlich die Sprache wiederfindet.
»Er hat ein paar von diesen homöopfotischen Tropfen bekommen – der Züchter hat sie mir gezeigt.«
»Sie meinen sicher homöopathisch«, korrigiere ich freundlich, doch innerlich koche ich vor Wut auf den Züchter und Mrs Moss, die geglaubt haben, das reiche aus, um Freddie vor einigen wirklich üblen Welpenkrankheiten zu schützen. »Er hat Parvo – eine Virusinfektion.« Den ärgerlichen Zusatz: Und das hätte man mit einem herkömmlichen getesteten Impfstoff verhindern können , verkneife ich mir.
Izzy gibt mir ein Paar Einweghandschuhe. Ich sehe, wie sie die Augen verdreht, während sie sich abwendet, um das Sprechzimmer zu verlassen.
»Ich hab’s dir ja gesagt.« Sinead dreht sich zu ihrer Mutter um. »Wir hätten ihn durchchecken lassen sollen.«
»Er war doch gesund, als wir ihn bekommen haben.«
Ich hebe den Welpen aus dem Karton. »So, Freddie, dann wollen wir dich mal ansehen.«
Er zittert und jault leise, als ich vorsichtig seinen Bauch abtaste und nach etwas suche, das eine andere Diagnose nahelegen würde.
»Ihm läuft vorn und hinten Blut raus«, sagt Sinead. »Das ist nicht gut, oder?« Ich lasse keinen Zweifel daran, wie schlecht es ihm geht, und nehme den armen Kleinen stationär auf. Aber ich kann keine Wunder wirken – ob er sich wieder erholt, hängt allein von Freddie ab.
»Rufen Sie später noch einmal an, dann kann ich Ihnen mehr sagen.«
»Lass stehen«, befiehlt Mrs Moss, als ihre Tochter Anstalten macht, den Karton zu nehmen. Keine von beiden schaut sich noch einmal um. Die Tür zum Empfangsbereich schließt sich hinter ihnen, und wie durch Zauberhand öffnet sich gleichzeitig in meinem Rücken die Tür zum Flur, der vom Behandlungszimmer zum Arzneimittelraum, der Station mit den Käfigen, dem Vorbereitungsraum und dem OP-Raum führt. Mit einem Tablett voller Instrumente in der Hand wuselt Izzy herein.
»Izzy, man könnte fast glauben, Sie hätten an der Tür gelauscht.«
»Habe ich auch«, antwortet sie mit einem verschmitzten Zwinkern, und ich bin erleichtert, dass ihre anfängliche Schüchternheit mir gegenüber so schnell verflogen ist. Sie mustert Freddie genauer. »Armer kleiner Kerl. Der ist niemals elf Wochen alt – allerhöchstens
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