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Stadt, Land, Kuss

Stadt, Land, Kuss

Titel: Stadt, Land, Kuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Woodman
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nicht noch ein paar Schichten unten im Pub geben?«, fragte meine Mutter. »Dann störst du mich hier wenigstens nicht.«
    »Woher soll ich das wissen?« Mein Vater gähnte, um zu betonen, wie sehr sie ihn mit ihrem ständigen Nörgeln langweilte, und streckte die langen Beine aus. »Ich habe ihn seit Wochen nicht mehr gesehen.«
    »Dann geh runter und frag ihn. Nein, wirf dich vor ihm auf die Knie und fleh ihn an, sonst muss ich nämlich die Kinder verkaufen, um die Stromrechnung bezahlen zu können.«
    Ich ließ sie weiterstreiten und ging hinaus. Damals träumte ich oft, meine richtigen Eltern würden eines Tages wie aus heiterem Himmel vor mir stehen und mich von diesem ewig keifenden, zerstrittenen Paar wegholen. Ich packte das winzige Bündel aus schwarz-weißem Fell mit den fest geschlossenen Augen in einen Schuhkarton, stieg mit ihm in den Bus und fuhr bis zur Haltestelle vor der Ladenreihe, an der ich jeden Tag auf dem Weg zur Schule vorbeikam.
    Eingezwängt zwischen Tatchells Maßschneiderei und Gitas Sariladen lag dort die Tierarztpraxis The Ark – »Die Arche«, ein Name, der mein Vertrauen weckte. Rechts neben dem Eingang war ein Messingschild mit der Aufschrift J.B. Wilson, gefolgt von ein paar Buchstaben, angeschraubt. An der Tür hing ein »Geschlossen«-Schild. Ich hielt den Schuhkarton mit einem Arm fest, streckte die Hand aus und drückte auf den Klingelknopf. Nach einer Weile öffnete eine Krankenschwester die Tür – denn dass sie eine Krankenschwester sein musste, schloss ich aus ihrer silbernen Gürtelschnalle.
    »Kannst du nicht lesen?«, fauchte sie mich an.
    »Das ist ein Notfall«, stotterte ich, und als ich sah, dass sie die Tür wieder schließen wollte, nahm ich den Deckel von meinem Karton. »Sehen Sie.«
    »Das ist ja noch ein Baby … Komm lieber rein«, sagte die Schwester freundlicher. »Ich werde den Tierarzt bitten, ihn sich einmal anzusehen.«
    »Ich weiß nicht, ob es ein Junge ist.« Ich folgte ihr durch eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Wartebereichs in einen kleinen Raum, in dem die Luft nach Reinigungsmitteln und Chemikalien roch.
    »Fass ja nichts an«, befahl sie kurz angebunden und ließ mich und das Kätzchen vor einem Plakat mit einem riesigen Floh zurück, ehe sie mit einem Mann in grauer Hose und einem kurzen Kittel zurückkam, der an der Schulter geschlossen wurde. Er kam mir damals sehr groß und alt vor, aber wenn ich jetzt daran zurückdenke, wird er wohl erst um die fünfzig gewesen sein.
    Er sagte, er sei Jack, der Tierarzt, und seine Tierarzthelferin heiße Chrissie.
    »Ich bin Amanda«, antwortete ich, während er das Kätzchen aus dem Schuhkarton hob und zwischen seine Hinterbeine schaute.
    »Es ist ein kleiner Kater«, verkündete er. »Und seine Augen sind noch geschlossen, das heißt, er ist bestimmt nicht älter als eine Woche. Wie heißt er?«
    Ich dachte an den Rattenkönig und das Gewirr aus Schwänzen. »King. Er heißt King.«
    »Du weißt bestimmt, dass dieser kleine Kerl hier noch bei seiner Mutter sein sollte. Aber da er das offensichtlich nicht ist, muss er alle zwei Stunden mit einem speziellen Muttermilchersatz gefüttert werden.«
    »Das kann ich machen«, unterbrach ich ihn. Ich hatte das Kätzchen sofort ins Herz geschlossen, als ich erkannte, dass es noch lebte und ich seine einzige Rettung war. Ich fühlte mich verantwortlich. Ich hatte das Gefühl, gebraucht zu werden.
    »Gehst du denn nicht zur Schule?«
    »Ich kann ein paar Tage schwänzen. Das macht mir nichts aus.«
    »Das glaube ich gern«, antwortete Jack ernst, »doch ich möchte nicht, dass du Schwierigkeiten bekommst, deshalb schlage ich vor, dass King für eine Weile hier bei mir bleibt.«
    Ich schaute mich in dem Raum um und betrachtete die Flaschen und die Tiegel in den Regalen mit den beruhigend langen Namen auf ihren Etiketten, als sei die Medizin umso wirksamer, je länger ihr Name war. Ich war mir nicht sicher, was ich von Chrissie halten sollte, aber Jacks beruhigende, gelassene Art gefiel mir. Ich vertraute ihm. King würde in dieser Arche sicherer sein als bei mir zu Hause, allerdings schmerzte etwas in meiner Brust bei dem Gedanken, ihn zurückzulassen. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich verliebt.
    »Wohnst du weit weg von hier?«, fragte Jack.
    »Ich muss den Bus nehmen. Zählt das als weit?«
    »Oh ja, sicher. Warum kommst du nicht einfach morgen nach der Schule wieder her?«
    Mein Herz machte einen Satz. »Darf ich?«
    Jack nickte. »Die

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