Stadt, Land, Kuss
Abendsprechstunde fängt gleich an – du kannst Chrissie helfen, dem Kätzchen die erste Flasche zu geben, ehe du nach Hause fährst.«
»Wie viel wird das denn kosten?« Ich dachte daran, dass ich ja auch noch die Busfahrkarte bezahlen musste.
»Mach dir darüber erst einmal keine Gedanken.« Ich frage mich, was Jack wohl von mir dachte, diesem mageren blonden Mädchen in einer schäbigen Bluse, an der der oberste Knopf fehlte, und einem Rock, der auf halber Höhe der Oberschenkel endete. Vielleicht erkannte er am Zustand meiner Schuhe, dass ich aus keiner sehr wohlhabenden Familie stammte. »Das sehen wir später …«
Ich biss mir auf die Lippen, denn ich wusste, was er meinte: Vielleicht würde King es nicht schaffen. Ich musste realistisch bleiben, aber wie auch immer die Sache ausgehen würde, mein Weg war vorgezeichnet. Ich würde Tierärztin werden, genau wie Jack Wilson, und nichts und niemand würde mich davon abhalten.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fox-Giffords ihre Praxis ohne triftigen Grund unbesetzt lassen würden«, sagt Cheryl, als sie später zurückkommt, um Saffy und das kleine Neugeborene abzuholen, denn ich schicke die glücklichen Mütter immer gleich nach Hause, sobald sie sich von der Narkose erholt haben, damit sie ihre Jungen in Ruhe säugen können.
»Es gab bestimmt einen Grund, warum Alex nicht ans Telefon gegangen ist.« Ich will nicht schlecht über Emmas Konkurrenten reden – und sei es nur, weil ich mich nicht auf ihr Niveau hinabbegeben möchte. »Vielleicht hatte man ihn schon zu einem anderen Notfall gerufen. Ich maile Talyton Manor morgen einen Bericht über den Eingriff«, sage ich, um das Thema zu wechseln, »dann können Sie bei ihnen einen Termin zur Nachsorgeuntersuchung vereinbaren.«
»Das wäre dann in zehn Tagen, sagen Sie?«
»Maz! Telefon!«, ruft Izzy.
»Ach, ich rede wieder viel zu viel«, meint Cheryl.
»Ich muss gehen. Gute Nacht und alles Gute für Saffy und ihr Kleines«, verabschiede ich mich. Ich schließe die Tür hinter ihr und drehe den Schlüssel um, ehe ich zu Izzy gehe. Nigel ist schon lange weg.
»Wer ist denn dran?«
»Niemand.« Izzy grinst. »Ich wollte Ihnen nur eine Ausrede liefern, um der Teufelin zu entfliehen.« Sie senkt den Blick auf meine Füße. »Wissen Sie eigentlich, dass Sie noch immer Ihre Pantoffel anhaben?«
»Wirklich?« Ich schaue hinab auf die zwei flauschigen Hunde mit lüstern herausgestreckten rosa Zungen, die mir die Tierarzthelferinnen in Crossways letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt haben. Ich glaube kaum, dass das besonders gut für mein Image war, aber zumindest werde ich Cheryl in meinem beruflichen Umfeld nicht mehr wiedersehen. Sie ist keine Kundin des Otter House.
Izzy starrt mich nach wie vor an.
»Ist sonst noch etwas?«
»Ich arbeite jetzt seit zwanzig Jahren als Tierarzthelferin, aber ich habe noch nie einen Arzt erlebt, der seine Patienten küsst.«
Ich hatte das junge Kätzchen kurz gekuschelt, ehe ich es Cheryl reichte.
»Nur die niedlichen, die nicht beißen. Und bei Amphibien und Reptilien hört die Liebe auf. Auch wenn ich in meinem Leben schon eine Menge Frösche geküsst habe.« Na ja, so viele waren es nun auch wieder nicht. In meinem Leben gab es bis jetzt zwei Frösche von Bedeutung: Mike und Ian Michelson, mein erster Freund aus Studienzeiten.
»Wenn Sie hier alles im Griff haben, gehe ich jetzt wieder nach Hause«, sagt Izzy. Von Emma weiß ich, dass sie allein lebt. Ihr gehört eines der winzigen Reihenhäuschen an der Straße nach Talymouth, wo sie mit zwei Kaninchen, acht Meerschweinchen, drei Schildkröten und einer Kornnatter zusammenwohnt, die jemand unter seiner Motorhaube gefunden hatte. Ich nehme an, dass die Vorstellung, Izzy mit diesen Hausgenossen zu teilen, auf Männer recht abschreckend wirken muss.
»Ich komme schon zurecht, danke«, entgegne ich, obwohl ich nach dem anstrengenden Tag völlig zerschlagen bin. »Ich gehe auch gleich wieder hoch ins Bett.« Ich wünsche Izzy eine gute Nacht und sehe auf dem Weg nach oben noch einmal nach Freddie. Er liegt reglos an der Vorderseite des Käfigs, den Kopf nach hinten gestreckt und den Körper eng an die Stäbe gepresst. Schläft er? Seine Augen sind offen und starren blicklos in die Ferne. Auf Zehenspitzen schleiche ich näher und halte ängstlich nach dem verräterischen Auf und Ab seines Brustkorbs Ausschau. Nichts.
Mit Tränen in den Augen gehe ich nach draußen und hole einen Sack, um ihn in die
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