Stadt, Land, Kuss
Tiefkühltruhe zu legen. Armer kleiner Kerl. Sein Leben war vorbei, ehe es richtig angefangen hatte.
Als ich den Haken an der Käfigtür öffne, zuckt Freddies Körper, und ich falle vor Schreck fast in Ohnmacht.
»Freddie?« Mit angehaltenem Atem beuge ich mich über ihn. Eines seiner Augen dreht sich in seiner Höhle. »Deinetwegen hätte ich fast einen Herzinfarkt bekommen«, schimpfe ich liebevoll. »Du spielst ein riskantes Spiel, junger Mann.« Ich öffne den Verschluss am Infusionsbeutel, damit erneut Flüssigkeit in seine Vene geleitet wird, und decke ihn zu. Dabei fühle ich mich im grellen Licht der Isolierkammer sehr einsam. Nur noch fünf Monate und achtundzwanzig Tage.
Mit Vorsicht zu genießen
Auf dem Empfangstresen steht eine Rezeptionsklingel, für den Fall, dass die Anmeldung nicht besetzt sein sollte. Manche tippen sie nur ganz leicht an, sodass man in den hinteren Räumen nur ein schwaches »Ping« hört. Andere hingegen sind weniger zimperlich.
Izzy verdreht die Augen, nachdem die Klingel laut zu scheppern beginnt und nicht mehr verstummt.
»Wir haben hier hinten wirklich genug zu tun«, brummt sie, als Freddie von ihrem Arm zu springen versucht, während ich seinen Infusionsschlauch entwirre. »Wo ist Frances?«
»Vielleicht ist es Familie Moss.« Wir konnten Freddies Besitzer noch nicht erreichen, seit sie ihn vor drei Tagen bei uns abgegeben haben, und sie haben sich auch nicht mehr bei uns gemeldet. Die Telefonnummern, die sie uns gegeben haben, waren falsch, und die Adresse gehört zu einem bislang unverkauften Grundstück im Neubaugebiet am Rand von Talyton St. George. Ich gehe davon aus, dass sie ihn einfach bei uns entsorgt haben. Machen wir uns doch nichts vor, seine Chancen stehen nicht gut, und wer möchte schon für einen toten Hund bezahlen, wenn man das Geld besser in einen neuen investieren könnte? Halten Sie mich meinetwegen für zynisch, aber ich habe gelernt, dass die Menschen nicht immer das sind, was sie zu sein scheinen.
»Ich gehe schon«, sage ich. »Ich bin hier fertig. Wenn er sich bis zur Kaffeepause nicht mehr übergeben hat, können Sie versuchen, ihm etwas zu trinken zu geben.«
Es ist nicht Familie Moss. Es ist Cheryl, was ich mir bei dem Klingeln auch hätte denken können. Sie hält eine Katzenbox in der Hand.
»Ich dachte, es macht Ihnen sicher nichts aus, wenn ich einfach so hereinschneie, nachdem Sie neulich schon den Kaiserschnitt gemacht haben. Vielleicht bin ich ja überfürsorglich, doch ich mache mir Sorgen um Saffy.«
Es macht mir ganz und gar nichts aus. Ich helfe gern, und es ist ja nicht so, als könnte ich vor lauter Arbeit keine Minute erübrigen.
»Hat sie sich von dem Eingriff erholt?«, frage ich, als Cheryl die widerstrebende Saffy im Behandlungszimmer aus ihrer Box holt und sie auf den Rücken dreht, damit ich sie untersuchen kann.
»Ja, allerdings habe ich mich über den Schnitt gewundert. « Ein leiser Vorwurf schwingt in Cheryls Stimme mit. »Er ist viel länger, als Alex ihn immer macht.«
Für mich sieht die Wunde ganz normal aus. Sie verheilt gut, und sie ist auch nicht überdurchschnittlich lang. Was hat sie denn erwartet? Hätte ich das Kätzchen in Stücke schneiden sollen, um es durch ein kleineres Loch herauszuholen?
»Es sieht alles so aus, wie ich es in diesem Stadium erwarten würde«, erkläre ich ruhig.
»Sind Sie sicher?« Sie zwirbelt ihre aus dicken Perlen bestehende Halskette, die farblich perfekt auf ihr rotes Etuikleid abgestimmt ist.
»Absolut.« Es ist offensichtlich, dass Cheryl ihre Katzen über alles liebt, aber ihre Sorge erscheint mir doch etwas übertrieben. »Warum vereinbaren Sie nicht einen Termin in Talyton Manor – in fünf Tagen können sie Saffys Fäden ziehen.«
»Können Sie sie nicht jetzt schnell ziehen, wo ich schon einmal hier bin?«
»Nein, das geht auf gar keinen Fall.« Ich zögere. »Zieht Alex sie etwa …?«
Cheryl schüttelt den Kopf. »Er sagt, es sei zu gefährlich. ›Cheryl‹, hat er gesagt, ›wenn wir die Fäden zu früh ziehen, spielen wir Russisches Roulette mit dem Leben Ihrer Katze.‹«
Ich hätte den Fox-Giffords für mein Leben gern eins ausgewischt, indem ich Cheryl sage, dass er sich irrt, doch leider muss ich ihr bestätigen, dass er recht hat.
»Na gut, wenn das so ist, warte ich eben noch ein paar Tage. Befehl ist Befehl.« Cheryl deutet in die Katzenbox, wo, halb versteckt unter einem lila Fleecetuch, ein winziges cremefarbenes flauschiges Fellknäuel
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