Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
aufgeklärt zu sein, bevor sie mit dem Jahrestag jener anderen Morde von vor nahezu drei Dekaden kollidierten. Jess vermochte nicht, rational zu erklären, warum sie das Gefühl hatte, es wäre so wichtig, doch es wollte nicht nachlassen.
Genau genommen wurden Jahrestage an einem Datum festgemacht. Für Eli Smith hingegen hatte sich der Mord an seinen Eltern an einem Donnerstag in einer bestimmten Woche des Monats ereignet, und so behielt er ihn auch in seiner Erinnerung, weil der Donnerstag ein Markttag gewesen war. Was war schon ein Kalenderdatum für jemanden, der nicht nur Analphabet war, sondern noch dazu aufgewachsen war in einer Welt, deren Rhythmus beherrscht wurde von Jahreszeiten und Wetter und nicht von willkürlich angeordneten Zahlen auf einem Blatt Papier?
Andrew Ferris wohnte in einem Neubaugebiet, das man vor fünfzehn oder zwanzig Jahren erschlossen hatte. Die Gärten waren seither gediehen, die Büsche und Bäume gewachsen, einige so sehr, dass sie sogar schon zu einem Problem zu werden drohten. Das Mauerwerk war verwittert, das Pflaster auf den Bürgersteigen gesprungen. Trotzdem waren diese Häuser schon damals bestimmt nicht billig gewesen, und ihr Wert war seither mit Sicherheit noch gestiegen. Es waren alles freistehende Häuser, manche mit Doppelgaragen, wie das von Andrew Ferris. Die Garage neben seinem Haus erweckte Aufmerksamkeit, weil das doppelt breite Rolltor nicht ganz geschlossen war und weil davor eine Reihe großer Umzugskartons stand.
Jess stieg aus dem Wagen und näherte sich neugierig den Kartons. Einer enthielt Bücher und CDs, ein weiterer Frauenkleidung. In einem dritten war eine ganze Sammlung von Damenschuhen verstaut – eine kostspielige Sammlung, Modelle von Jimmy Choo und Manolo Blahnik und ähnlich klingenden Namen. Jess starrte begehrlich auf ein Paar glänzend hellgrüner Ballerinas. Der letzte Karton enthielt Küchengeräte, Mixer, Töpfe und einen Satz beinahe neuer, kaum benutzter Edelstahlpfannen. Zuoberst lagen zwei Kochbücher in Hochglanzeinbänden, die genauso unbenutzt aussahen wie die Pfannen. Irgendjemand zog gerade aus.
»Inspector?«
Jess zuckte zusammen und drehte sich um. Sie errötete schuldbewusst, weil jemand sie beim Schnüffeln beobachtet hatte. Hinter ihr stand Andrew Ferris. Er hielt noch mehr Kleidung in den Armen.
»Bitte … entschuldigen Sie«, sagte Jess. »Ich wollte zu Ihnen und war überrascht, als ich die Kartons hier draußen vorfand …« Sie deutete auf die Umzugskisten. »Ziehen Sie um?«
»Ich? Nein, nein. Meine Frau zieht aus. Wir lassen uns scheiden. Sie ist im Augenblick in London, und wir kommunizieren durch unsere Anwälte miteinander.«
Aha. In Andrews Fall war der Anwalt wahrscheinlich Reggie Foscott. Kein Wunder, dass Foscotts Augen seine Neugier verraten hatten, als er erfahren hatte, dass Jess plante, hierher zu fahren.
Ferris ging zu dem Karton mit der Kleidung und ließ die Sachen hineinfallen, die er im Arm gehalten hatte. »Karen kommt irgendwann im Lauf des Tages vorbei, um ihre Sachen abzuholen. Ich versuche alles zu beschleunigen, indem ich ein wenig vorsortiere. Mir war nicht klar, dass sie so viel Zeug hat. Das da«, er deutete auf den Karton voll Kleidung, »ist nur der Anfang. Ein einziger Schrank. Sie hat einen weiteren Schrank im Gästezimmer mit ihren Skisachen und dergleichen. Sie ist Reisebegleiterin. Sie hat für jede Gelegenheit die passende Kleidung, wie ich gerade herausfinde!« Er grinste schief.
»Tut mir leid wegen der gescheiterten Ehe«, sagte Jess, die zu spüren meinte, dass eine Bemerkung in dieser Richtung von ihr erwartet wurde.
»Das muss es nicht. Es hat lange in der Luft gelegen, seit einer Ewigkeit, ehrlich. Wir hätten uns schon vor zwei Jahren trennen müssen, mindestens. Weil Karen so viel unterwegs ist, waren wir de facto die meiste Zeit nicht zusammen. Ich nehme an, das ist der Grund, warum wir so lange gebraucht haben, um die Scheidung tatsächlich einzureichen. Wie dem auch sei, kommen Sie rein. Ich könnte eine Tasse Kaffee vertragen, vielleicht auch etwas Stärkeres. Sie sind noch im Dienst, nehme ich an?« Er hob eine Augenbraue.
»Ja. Kaffee wäre allerdings prima, danke.«
Sie folgte ihm ins Haus. Der Flur war übersät mit Dingen, die noch darauf warteten, nach draußen in die Umzugskartons gebracht zu werden. Noch mehr Bücher, Reiseführer, wie es aussah, noch mehr CDs, zwei gerahmte Aquarelle von Landschaften, die nach Italien aussahen, eine hohle russische
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