Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
eine erdbeerfarbene, regendichte Jacke. Sie hatte Geld in den Taschen gehabt, als sie losgezogen war, um all diese neuen Sachen zu kaufen. Wenn der Einkaufsbummel erst kurze Zeit zurücklag, konnten sie die Jacke vielleicht zu einem bestimmten Geschäft zurückverfolgen. Vielleicht erinnerte sich ja eine Verkäuferin sogar noch an die junge Kundin.
Kein Schmuck , dachte Jess. Keine Ohrringe, keine Armbanduhr. Das Fehlen derartiger Dinge ließ immer die Frage nach einem Raubmord als Motiv im Raum. Doch Raubmörder erwürgten ihre Opfer im Allgemeinen nicht. Sie trugen eher Messer bei sich oder Totschläger.
Jess wurde bewusst, dass der Einsatzleiter des Spurensicherungsteams wartend neben ihr stand. Vielleicht wollte er herausfinden, ob sich auf ihrem Gesicht das gleiche Unwohlsein zeigte wie bei dem jungen Constable. Doch Jess war geübt darin, ihre Mimik unter Kontrolle zu halten und sich nichts anmerken zu lassen. Sie wandte den Kopf und blickte den Einsatzleiter mit erhobenen Augenbrauen an.
»Haben Sie eine Probe von dem Farbfleck am Torpfosten genommen?«
»Haben wir. Und wir haben Gipsabdrücke von Reifenspuren angefertigt. Irgendjemand hat ein hektisches Wendemanöver auf dem Hof durchgeführt …« Er deutete über die Schulter in den Hof zu einem Bereich aufgewühlten Drecks mit einer Reihe von Minizelten, die aussahen wie winzige Gartentreibhäuser. Dann zeigte er auf das vernagelte Farmhaus. »Gehen wir rein? Es ist so verrammelt, als wäre dort drinnen die Pest ausgebrochen.«
»Wir müssen es auf jeden Fall kontrollieren.« Jess runzelte die Stirn. Eli Smith stritt wahrscheinlich immer noch mit Phil Morton. »Ich werde den Besitzer nach einem Schlüssel fragen und ihn informieren, dass wir sein Haus durchsuchen.«
Sie ging nach draußen, wo Palmer wartete. Als sie sicher war, dass niemand sie beobachtete, atmete sie tief aus und wieder ein, in der Hoffnung, den Gifthauch des Todes aus ihrer Nase zu vertreiben. Es war ihr egal, dass Palmer sie dabei sehen konnte – er würde es verstehen.
Er lächelte ihr zu. »Es hätte schlimmer sein können«, sagte er.
»Ja, ich weiß«, erwiderte Jess. »Aber sie war noch sehr jung. Soweit es mich betrifft, können Sie sie jetzt mitnehmen.«
Sie waren meistens jung. Ermordete Frauen, heißt das. Ältere Frauen in festen Beziehungen trafen sich nicht mit fremden Männern, gingen nicht allein in Clubs und Bars und ließen sich nicht von beinahe Unbekannten mitnehmen. Auch Prostituierte waren in der Regel jung. Straßenstrich war ein »Beruf« für junge Frauen, und in vielen Fällen ein sehr stressiger. Doch Jess glaubte nicht, dass die Tote im Kuhstall eine Professionelle gewesen war. Sie hatte etwas deprimierend »Normales« an sich gehabt. Es war falsch, dass sie dort lag, tot, an diesem kalten, verregneten Freitag. Sie hätte ihr Wochenende planen, sich mit ihren Freundinnen verabreden, einen Einkaufsbummel vorbereiten sollen … all die Aktivitäten, die Jess’ Mutter als Teil eines »normalen Lebens« betrachtet hätte.
Und was hat dieses normale Leben der Toten gebracht? , dachte Jess sarkastisch. Einen weiteren Eintrag in den Statistiken über Mord und Totschlag. Ein Ende im Dreck. Bald würde ihr Leichnam auf dem Tisch des Pathologen landen, würde seziert und analysiert und studiert werden, genau wie ihr Leben – falls es gelang, sie zu identifizieren, heißt das. Doch das sollte kein unlösbares Problem darstellen. Dreißig Stunden waren lang genug. Zweifellos hatte inzwischen jemand ihr Verschwinden gemeldet.
Neben ihr nickte Tom Palmer. »Der neue Mann fängt am Montag an, richtig? Dann hat er ja gleich einen ordentlichen Fall auf dem Tisch.«
»Darauf hätte ich gut und gerne verzichten können!« Jess schnitt eine Grimasse, und Palmer kicherte.
Er konnte es sich leisten, das amüsant zu finden. Er bekam schließlich keinen neuen Boss. Einen neuen Besen, wie es so schön hieß. Begierig, Ordnung in den »Laden« zu bringen oder besser, seine Version von Ordnung durchzusetzen.
Morton kam durch den Schlamm auf sie zugestapft, einen Ausdruck von mürrischer Befriedigung im Gesicht. »Ich hab seine Aussage zu Protokoll genommen«, sagte er. »Er wiederholt immer wieder das Gleiche. Er ist hergekommen, um seinen Laster zu entladen, er hat aus irgendwelchen Gründen, die er nicht nennen will, beschlossen, zuerst den Hof zu inspizieren, und er fand die Leiche im Kuhstall. Ich lasse es tippen und ausdrucken. Es ergibt Sinn, aber …« Er
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