Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
auf Armeslänge von sich und studierte ihn eine ganze Minute, bevor er ihn zurückgab. Als versuche sie, ihm eine Fälschung unter die Nase zu reiben, dachte sie amüsiert.
Sprang selbst war von mittlerem Alter und mittlerer Größe und auch sonst in jeder Hinsicht mittel: mittleres graues Haar, mittlerer Teint. Nur widerwillig hatte er Jess Einlass in seinen Hort gewährt, von wo aus er ein wachsames Auge auf das Kommen und Gehen im Wohnblock hatte, einem umgebauten ehemaligen Themse-Lagerhaus. Er wusste, dass die Bewohner wohlhabende, zurückgezogen lebende Leute waren, und er sorgte dafür, dass sie die Privatsphäre bekamen, die sie suchten. Im Gegenzug erwiesen sie sich zweifelsohne großzügig, was die weihnachtlichen und sonstigen Trinkgelder anging.
»Ein Kollege von Ihnen war schon hier«, brummte er missmutig. »Von der Met. Ich nehme an, jetzt wollen Sie auch in die Wohnung.«
»Sergeant Collins war in meinem Auftrag hier. Ich habe mit ihm gesprochen.«
»Dann wissen Sie sicher auch, dass er den Schlüssel mitgenommen hat. Ich bin verantwortlich für diese Schlüssel, wissen Sie? Hat er Ihnen den Schlüssel ausgehändigt?«
»Ja. Ich habe ihn dabei.«
»Er hatte kein Recht, ihn an jemand anderen weiterzugeben. Er hatte kein Recht dazu. Ich hätte ihm den Schlüssel gar nicht erst geben dürfen, weil er kein Recht hatte, ihn von mir zu verlangen. Aber er hat gedroht, Gewalt anzuwenden. Einzubrechen! ›Nur über meine Leiche!‹, habe ich zu ihm gesagt. Leider waren sie zu zweit, deswegen hatte ich keine andere Wahl, als ihm den Schlüssel zu geben. Ich bin sicher, er hat irgendein Bürgerrecht gebrochen. Wie dem auch sei, er ist oben gewesen und hat sich umgesehen. Warum müssen Sie jetzt auch noch rauf?«
»Es handelt sich um eine Polizeiangelegenheit, Mr. Sprang. Wir ermitteln wegen der Umstände von Mr. Burtons Tod.«
»Warum denn das? Sind es zweifelhafte Umstände, oder was?«, fragte Sprang, und in seinen Augen erschien ein Glitzern, das von den dicken Brillengläsern zugleich vergrößert und verzerrt wurde.
Auf einem Sims unter dem Schlüsselbrett lag eine Boulevardzeitung. Möglicherweise war er zu mehr Mitarbeit zu bewegen, falls sich Sensationsnachrichten aus dem Besuch der Polizei ergaben.
»Ich fürchte ja«, räumte Jess ein. »Wir vermuten, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Doch es ist noch zu früh, um mehr zu sagen.«
»Der arme Kerl«, sagte Sprang relativ aufgeräumt, jetzt, da er wusste, dass er mit Sicherheit zu den Ersten gehörte, die von dieser Geschichte erfuhren – einer Geschichte, die zweifelsohne bald schon in sämtlichen Zeitungen erscheinen würde. Er wäre imstande, sie den übrigen Bewohnern mitzuteilen, wenn diese abends nach Hause kamen. Was ihm die Befriedigung verschaffte, einen kleinen Aufruhr zu verursachen, wie ein Fuchs im Hühnerstall. Keiner der anderen Bewohner wollte in eine Mordermittlung der Polizei hineingezogen werden, so viel stand fest.
»Möchten Sie, dass ich mit Ihnen nach oben komme? Ist kein Problem.« Er rieb sich die Hände. Es klang unangenehm rau.
»Ich denke, es geht auch so, Mr. Sprang. Ich glaube nicht, dass es lange dauert.«
»Ich bin verantwortlich für diese Wohnung, wissen Sie? Für sämtliche Wohnungen, wenn die Bewohner nicht zu Hause sind.« Die Augen hinter den Vergrößerungsgläsern kamen näher, und Jess musste sich mühsam beherrschen, um nicht zurückzuzucken. »Ich muss wissen, ob Sie etwas mitnehmen. Sonst sagt vielleicht noch jemand, ich wäre schuld, dass etwas verschwunden ist.«
»Ich gebe Ihnen eine Quittung, falls ich etwas mitnehme«, erwiderte sie und schob sich zur Tür. Sprang war unübersehbar enttäuscht. Nichtsdestotrotz unternahm er einen letzten Versuch. »Warten Sie, ich bringe Sie rauf und zeige Ihnen den Weg.«
Jess öffnete den Mund, um zu widersprechen, doch dann beschloss sie, ihm wenigstens diesen kleinen Sieg zu lassen. Sie brauchte Sprang auf ihrer Seite.
»Danke sehr, Mr. Sprang.«
Es gab einen Lift, doch weil die Wohnung im ersten Stock lag, wählte Jess die Treppe.
»Hat Mr. Burton seine Wohnung regelmäßig genutzt?«, wollte sie von Sprang wissen, der vor ihr die Stufen hinaufstieg.
»Er kam und ging«, erwiderte Sprang über die Schulter. »Er war ein-, zweimal im Monat hier. Manchmal blieb er eine ganze Woche und fuhr erst am Wochenende wieder in sein anderes Haus. Manchmal kam er nur übers Wochenende.«
»Hatte er viele Besucher?«
Sprang antwortete nicht
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