Stadt, Land, Mord - Granger, A: Stadt, Land, Mord - Mud, Muck and Dead Things
sie gleichmütig, in der Hoffnung, ihn ein wenig zu beruhigen. Er war wirklich völlig außer sich, das Gesicht gerötet, die Augen geweitet. Als sie ein paar Tage zuvor im Hof des Foot to the Ground mit ihm gesprochen hatte, war seine Miene beinahe ausdruckslos gewesen, und nur hin und wieder hatte er für einen kurzen Moment die Contenance verloren. Jetzt hingegen schien jeder Gesichtsmuskel zu zucken, als wäre er statisch aufgeladen. Halb erwartete sie blaues Elmsfeuer, das über den Motorradhelm unter seinem Arm tanzte.
Sie übernahm die Führung und ging mit entschlossenen Schritten in Richtung des Gebäudes. Das Knirschen der schweren Motorradstiefel auf dem Kies hinter ihr verriet ihr, dass er ihr folgte.
Ein paar Minuten später saß Jones mit hängenden Schultern in einem Bürosessel, in den Händen einen heißen Becher Kaffee. Der Helm lag vergessen neben ihm auf dem Boden. Ihre Einladung hatte den Zweck gehabt, ihn zu entspannen, doch es hatte nicht funktioniert. Er sah immer noch aus wie ein Nervenbündel. Kein Wunder, dachte Jess mitfühlend, dass sich seine Familie um ihn sorgte und einen Anwalt um Hilfe gebeten hatte.
»Fairbrother hat Sie angerufen, stimmt’s? Ich hab nichts damit zu tun, hören Sie?« Schon seine ersten Worte bestätigten ihren Verdacht. Seine Augen glitzerten vor Ärger, doch er galt nicht ihr.
»Ja, Mr. Fairbrother hat uns angerufen«, sagte Jess unverbindlich.
Jones zuckte zusammen und verschüttete Kaffee.
»Passen Sie auf!«, warnte ihn Jess. »Es mag nicht der beste Kaffee auf der Welt sein, aber er ist heiß.«
Jones beugte sich vor und stellte den Becher auf dem zerkratzten Tisch des Verhörzimmers ab. »Es war meine Mutter. Es war ihre Idee. Sie ist mit einer Frau namens Foscott befreundet.«
»Selina Foscott?«
»Ja. Sie waren bei ihr und haben ihr dieses Photo gezeigt von dem Flugblatt, das Jake als Reklame für sein Lokal hat drucken lassen. Mutter geriet in Panik, weil sie dachte, ich würde einen Rückfall erleiden und wieder ausrasten.«
»Sie hatten einen Nervenzusammenbruch, ist das richtig? Das ist doch sicher etwas anderes als ›ausrasten‹?«, warf Jess ein.
»Sie wissen nicht, was ich alles angestellt habe damals«, sagte David steif. »Ich war krank. Ich … ich habe meine Familie und meine Freunde vor den Kopf gestoßen. Ich habe mein Zimmer schwarz gestrichen.«
»Was soll daran ungewöhnlich sein?«, entgegnete Jess. »Viele Jugendliche tun so etwas. Schwarz ist vielleicht ein wenig bedrückend. Ich weiß nicht, ob ich mich für Schwarz entschieden hätte.«
»Nein, nein!«, rief er ärgerlich. »Ich habe alles schwarz angestrichen, die Wände, die Decke, die Möbel. Ich habe sogar meine Bettwäsche schwarz gefärbt.« Er hielt sinnierend inne. »Es hat nicht besonders gut funktioniert, offen gestanden. Die Wäsche hatte eine ganz merkwürdige Farbe. Alles, nur nicht schwarz.«
»War Ihren Eltern Ihr Nervenzusammenbruch peinlich?«
Man hätte meinen können, dass diese doch sehr persönlichen Fragen den jungen Mann noch mehr aus der Fassung brachten, doch während sie sich unterhielten, bemerkte Jess, wie seine Anspannung sichtlich nachließ. Es fiel ihm leichter, über seine Krankheit zu reden, als so zu tun, als wäre alles Schnee von gestern und hätte keinerlei Bedeutung für das Hier und Jetzt.
Er sieht eine Art Psychotherapeutin in mir, dachte sie selbstironisch. Zu schade, dass ich keine Couch im Büro habe, auf die er sich legen kann.
»Ja, das können Sie laut sagen. Es mag undankbar klingen, wenn ich so etwas sage, aber es ist die Wahrheit. Ich sage nicht, dass sie mir nicht geholfen hätten. Sie taten alles, was in ihrer Macht stand, aber es ist keine Krankheit, mit der man so leicht fertig wird – jemand den ganzen Tag herumsitzen zu haben, der ständig heult, wirres Zeug redet und die merkwürdigsten Dinge tut.« Er sah Jess direkt in die Augen. »Aber jetzt geht es mir wieder gut.«
»Ja. Ja, das sehe ich.«
Er zuckte die Schultern. »Sie haben Angst, dass es wieder passieren könnte. Alle beide, aber Mum mehr als Dad. Ich kann es ihnen nicht verdenken. Mum sowieso nicht – Mrs. Foscott hat sie aufgestachelt. Mrs. Foscott ist das taktloseste Weibsstück im gesamten Universum, wussten Sie das?«
»Selina Foscott?«
»Natürlich, wer denn sonst? Meine Mutter bestimmt nicht! Dad ist im Moment nicht zu Hause. Er war auf irgendeiner internationalen Konferenz in Straßburg, und seitdem ist er in London, in seinem Club. Er
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