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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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lässt mich stehen, um den einsamen Regentropfen allein zu betrachten. Ich seufze tief, als es zu nieseln beginnt, steige in den Wagen und hoffe, dass ich verdammt nochmal weiß, was ich hier tue.
    Das Stakkato artige Trommeln des Regens auf dem Dach des Mercedes füllt die betretene Stille im Wagen, und das Tageslicht hat sich zu einem bedrückenden Grau verdüstert, als wir auf den Parkplatz des Duchess einbiegen. Wir rennen vom Wagen zum Restaurant, die Köpfe geduckt und die Schultern eingezogen, während unsere Füße durch die winzigen Flüsse platschen, die den überfluteten Gehsteig hinunter strömen. Drinnen angekommen schüttele ich mein nasses Haar und wische mir das Gesicht mit den Händen ab, während Carly an ihrer Bluse herumfummelt, die jetzt an kleinen durchsichtigen Stellen provokativ an ihrer Brust klebt, und ich schwöre mir hoch und heilig, so zu tun, als würde ich sie nicht bemerken. Sheila, die Kellnerin, die Brad ein paar Tage zuvor mit diesem seltsam persönlichen Blick bedient hat, begrüßt Carly mit einem vertraulichen Hallo und sagt, wir sollen uns setzen, wo wir wollen. Carly wählt eine Nische am Fenster, und Sheila nimmt unsere Bestellung augenblicklich entgegen und verschwindet in die Küche. Wir sind die einzigen Gäste hier, was mir sehr recht ist, da es die Gefahr einer zweiten Milchshake-Attacke deutlich verringert.
    Carly stochert mit der Gabel in ihrem Salat und wendet, mischt und sortiert das verschiedene Gemüse zu abstrusen Mustern, die nur sie erkennen kann. Von Zeit zu Zeit, wenn die Blätter ihres Kopfsalats richtig angeordnet sind, sticht sie mit ihrer Gabel in einen bestimmten Teil und führt ihn zum Mund. Auf diese Weise einen Cäsarsalat zu essen kann über eine Stunde dauern. Wir benötigen nicht annähernd so lange, bis uns der Smalltalk ausgeht. Also sitzen wir eine Weile schweigend da und sehen durchs Fenster zu, wie der Regen in heftigen Strömen herunter prasselt. Schließlich sehe ich sie über den Tisch an und sage: »Also, stell mir eine Frage.«
    Sie zieht die Augenbrauen hoch, nicht sicher, wie sie reagieren soll. Es war ein Spiel, das wir damals auf der Highschool spielten, im Allgemeinen nachdem wir Sex hatten und uns in der Nachglut aalten. Wir wollten uns so gründlich kennen lernen, denn manchmal kamen Dinge in der alltäglichen Unterhaltung nicht zur Sprache, und so entwickelte Carly die Angewohnheit, mich aufzufordern, ihr enthüllende Fragen zu stellen, deren Ziel es sein sollte, die Geheimfächer des jeweils anderen zu öffnen. Sie starrt mich noch ein paar Sekunden an, bevor sie ein gezwungenes Lächeln aufblitzen lässt und die Gabel beiseitelegt. »Okay«, sagt sie. »Wann fährst du ab?«
    »Ich weiß nicht, aber es ist eine tolle Frage, um mir das Gefühl zu geben, willkommen zu sein.«
    »Ich bitte dich, Joe. Warum bist du immer noch hier?«
    »Es ist kompliziert.«
    »Warum gibt du mir nicht einfach die Reader's-Digest -Version?«
    Ich denke eine Minute darüber nach. »Der Tod meines Vaters hat mich unerwartet schwer aus der Bahn geworfen. Ich bin erst vor kurzem auf die Idee gekommen, dass er in all den Jahren, in denen ich ihn dafür hasste, dass er nicht für mich da war, um meine Mutter trauerte, und dass ich vielmehr für ihn hätte da sein sollen. Ich habe ihn im Stich gelassen. Und ich hätte auch für Wayne und Sammy da sein sollen.«
    »Das warst du doch«, unterbricht mich Carly. »Du warst der Einzige, der für sie da war.«
    »Physisch vielleicht«, sage ich. »Aber was habe ich denn schon getan, um den beiden zu helfen? Ich habe immer nur gehofft, dass sich diese ganze Geschichte irgendwann von allein erledigen würde, dass Wayne aufwacht und wieder Mädchen mag, und die meiste Zeit war ich sowieso viel zu scharf auf dich, um noch Gedanken an diese Dinge zu verschwenden.«
    »Es ist also meine Schuld?«
    »Natürlich nicht.« Ich schüttele den Kopf. »Du warst mit Abstand das Tollste, was mir je passiert ist, und jetzt, siebzehn Jahre später, bist du das immer noch, und das ist entweder erbärmlich oder wundervoll, je nachdem, wie man es betrachtet.« Ich wende den Blick ab und räuspere mich. »Ah, wie betrachtest du es denn?«
    »Als traurig«, sagt Carly neutral und sieht aus dem Fenster. Nicht ganz die Reaktion, die ich mir erhofft hatte.
    »Wie auch immer«, sage ich etwas ernüchtert. »Ich nehme an, das ist es auch. Aber die Sache ist die, ich habe das Gefühl, allzu lange wütend gewesen zu sein, und vielleicht war

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