Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
Vom Netzwerk:
Carly, die in ihrem Wagen auf der anderen Straßenseite sitzt und die ganze Szene mit einem einzigartig verwirrten Gesichtsausdruck beobachtet hat. Mit einem flauen Gefühl in der Magengegend winke ich ihr zu. Sie winkt zurück, macht aber keine Anstalten, aus dem Wagen zu steigen, und ihr Gesichtsausdruck bleibt unverändert. Ich bin gezwungen, mit nichts als Boxershorts bekleidet die Stufen hinunter und über die Straße zu gehen, zitternd in der kalten Morgenluft und unbeholfen hüpfend, wenn meine Füße auf einen scharfen Stein im Asphalt treten. »Ich weiß, das sah nicht sehr gut aus«, sage ich.
    Carly nickt. »Hast du sie gevögelt?« Ihr Tonfall ist der neutraler Neugier, als sei die Antwort, ganz gleich, wie sie ausfällt, kaum von Bedeutung für sie. »Sie ist eben erst aufgekreuzt.«
    »Ich weiß, wann sie aufgekreuzt ist«, sagt Carly. »Davor, hast du sie da gevögelt?«
    Ich seufze. »Es war, bevor irgendetwas zwischen dir und mir passiert ist.« Ich bin kein überzeugter Anhänger der Ehrlich-währt-am-längsten-Theorie , aber manchmal ist es die brauchbarste Strategie, vor allem, wenn man nicht die Zeit hat, sich eine glaubhafte Alternative einfallen zu lassen.
    Noch bevor ich meinen Satz beendet habe, nickt Carly bereits, mit angespannten Mundwinkeln, die von unsichtbaren Gewichten nach unten gezogen werden. »Hör zu, Carly«, sage ich.
    »Du musst mir nichts erklären«, sagt sie in einem übertrieben rationalen Ton. »Es gibt keine Verpflichtung zwischen uns. Ich freue mich für dich. Ich meine, du wolltest sie seit, wie lange geht das jetzt schon, zwanzig Jahren? Es ist gut belegt.«
    »Jetzt gib mir doch erst einmal eine Chance.«
    »Herzlichen Glückwunsch. Endlich hast du sie flachgelegt, Mann.«
    »Kannst du bitte damit aufhören?«
    »Kein Problem«, sagt Carly. Mit einem Ruck legt sie den Gang ein und fährt mit quietschenden Reifen davon, sodass mir keine andere Wahl bleibt, als vorsichtig auf meinen nackten Füßen die Straße zu überqueren, wobei ich eine Blöße empfinde, die weit über meine fehlenden Kleider hinausgeht. Wieder einmal bin ich höchst erstaunt darüber, wie schwaches Urteilsvermögen und schlechtes Timing es ständig schaffen, sich gegen mich zu verschwören, und zwar immer in genau dem Augenblick, in dem mein Leben anfängt, mir ein wenig Hoffnung zu machen.
    Mit Schreiben ist nichts mehr zu machen, wie zu erwarten war, also gehe ich nach oben, um zu duschen und mich anzuziehen. Ich bin entschlossen, die Sache mit Carly wegen dieser Geschichte nicht entgleisen zu lassen. Das Timing ist vielleicht fragwürdig, aber ich habe sie nicht betrogen. Die Chronologie spricht hier eindeutig zu meinen Gunsten, und ich hoffe, dass ich Carly, wenn sie sich beruhigt hat, dazu bringen kann, das zu erkennen. Zu meiner Überraschung nimmt sie meinen Anruf entgegen, als ich eine halbe Stunde später bei ihr im Büro anrufe. »Hi, Joe«, sagt sje ganz locker.
    »Bitte sei nicht sauer wegen dieser Sache.«
    »Ich bin nicht sauer«, sagt sie freundlich.
    »Was?« Es ist ein alter Trick von Carly, und einer, den ich nie ganz begriffen habe. Wenn sie sauer wird, bestraft sie den Betreffenden, indem sie ihm nicht einmal das Privileg gewährt, an ihrer Wut auch nur teilzuhaben, denn das wäre schließlich der erste Schritt zur Absolution. Ich war etliche Male gezwungen, durch das Minenfeld ihrer Verletztheit hindurch zusteuern, sowohl auf der Highschool als auch in unseren gemeinsamen Jahren in New York, und jetzt erinnere ich mich deutlich, dass Carly, wenn es um Wut und Verletztheit geht, wie ein Rubik-Würfel ist.
    »Es ist schon gut«, sagt Carly. »Es hatte nichts mit mir zu tun.«
    »Also, was willst du damit sagen - dass alles okay ist mit uns?«
    »So gut, wie es immer war.«
    »Aha. Berechnete Wortwahl. Verdeckte Anspielungen. Jetzt kommen wir der Sache allmählich näher.« »Ich weiß nicht, wovon du redest.« Ich hole einmal tief Luft. »Ich will nur, dass du weißt, dass das, was mit Lucy passiert ist, gleich passiert ist, als ich hierher kam, als zwischen uns noch gar nichts passiert ist.« »Joe?« »Ja.«
    »In dem Augenblick, in dem du hierher kamst, ist etwas zwischen uns passiert. Du weißt es, und ich weiß es, also tu mir einen Gefallen und lass den Scheiß. Tu wenigstens das für mich.«
    »Okay«, sage ich. Ich frage mich, ob ich mich durch die Tatsache, dass wir den vorgetäuschten Mangel an Betroffenheit weitaus schneller hinter uns gebracht haben, als ich erwartet

Weitere Kostenlose Bücher