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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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stabilen Arbeitsmarkt von Connecticut finden, aber viele von ihnen landeten bei Internet-Startups, nur um Ende 2000 nach dem überfälligen Zusammenbruch der ganzen Branche unter die Räder zu kommen. Jetzt steckt die Stadt tief in der Rezession, und an jedem Block steht mindestens ein »Zu verkaufen«-Schild im Vorgarten. Auch wenn die Häuser zum größten Teil gut in Schuss und die Rasen makellos wirken, liegt doch eine gewisse Trostlosigkeit in dieser tagtäglichen Aufgeräumtheit, als seien diese sorgsam gepflegten Häuser mehr als je zuvor nichts weiter als Fassaden, hinter denen sich ein unfassbarer und irreparabler Schaden verbirgt.
    Ich biege nach links in die Diamond Hill Road ein, vorbei am Haus meines Vaters, hinter dem sich sein eigener Schaden schon längst verbarg, bevor Porter's auf die Nase fiel. Ich verlangsame mein Tempo, um den leicht abschüssigen Vorgarten zu begutachten, an dessen Ende das rechteckige, zweistöckige Kolonialhaus steht, in dem ich aufgewachsen bin. Die Aluminiumverschalung, in meiner Kindheit ein blasser Blauton, ist jetzt schmutzig eierschalenfarben, und die Hecken, die unter dem dunklen Aussichtsfenster des Wohnzimmers wuchsen, sind nicht annähernd so hoch oder dicht, wie ich sie in Erinnerung habe, aber ansonsten ist das Haus noch genau dasselbe. Ich halte den Wagen an und hole einmal tief Luft, erwarte irgendeine emotionale Reaktion auf das Zuhause meiner Kindheit, aber es kommt einfach nichts. Ich bin nicht immer so leidenschaftslos gewesen, da bin ich mir ziemlich sicher. Es ist das Resultat von Zeit und Distanz, oder habe ich einfach das bisschen allgemeine Sensibilität, das ich einmal besaß, im Laufe der Jahre abgeworfen? Ich versuche, mich zu erinnern, wann ich in letzter Zeit einem anderen Menschen gegenüber aus tiefstem Herzen etwas empfanden habe, und mir fällt kein einziges Beispiel von Gefühl oder Leidenschaft ein. Als ich rechts in die Churchill einbiege, irritiert mich der Gedanke, dass ich irgendwann, als ich nicht aufgepasst habe, offenbar ein Arschloch geworden bin. Das führt zu einer kurzen, syllogistischen Argumentation. Die Tatsache, dass ich den Verdacht hege, ich könnte ein Arschloch sein, heißt vermutlich, dass ich keins bin, denn ein richtiges Arschloch denkt nicht, dass es ein Arschloch ist, oder? Und daher negiere ich, indem ich erkenne, dass ich ein Arschloch bin, im Grunde genommen genau diese Erkenntnis, oder? Descartes' Arschloch-Axiom: Ich denke, ich bin eins, also bin ich keins.
    Es sind Debatten wie diese und der schleichende Verdacht, dass ich die generelle Fähigkeit verliere, mich auch nur einen Pfifferling um irgendetwas zu kümmern, die zu meinem kurzen und unglückseligen Ausflug in die Welt der Therapie geführt haben. Einer der Nachteile, ein Romanschriftsteller zu sein, so habe ich festgestellt, besteht darin, dass ich einen gegebenen Augenblick offenbar nie wirklich ausfüllen kann. Ein Teil von mir ist immer irgendwo am Rande, betrachtet, sucht nach Kontext und Subtext, stellt sich vor, wie ich den Augenblick schildern werde, wenn er vorbei ist. Mein Therapeut, Dr. Levine, war der Ansicht, es hätte nichts damit zu tun, dass ich Schriftsteller sei, sondern ausschließlich mit meiner egozentrischen und unsicheren Art. Meiner Ansicht nach, ob es nun stimmte oder nicht, war es ein ziemlich harsches Urteil dafür, dass er es bereits fünfundzwanzig Minuten nach Beginn unserer zweiten Sitzung fällte.
    »Hinzu kommt«, informierte er mich zu dem Zeitpunkt, »Ihr Hang zur Selbstanalyse - der im Übrigen eine weitere Manifestation Ihres Egoismus ist - und der zusätzlich verstärkt wird durch immense Minderwertigkeitsgefühle. Sie gestatten es sich nicht, sich voll auf etwas einzulassen, da Sie tief in sich das Gefühl haben, Anerkennung, Liebe, Erfolg et cetera nicht zu verdienen. All die Dinge, nach denen Sie sich verzehren.«
    »Meinen Sie nicht, Sie sollten mich etwas besser kennen lernen, bevor Sie solche kategorischen Aussagen treffen?«, sagte ich, etwas gekränkt von seinen Bemerkungen. »Werden Sie nicht defensiv«, schalt er mich. »Das verlangsamt nur den Prozess. Sie bezahlen mich nicht dafür, dass ich sanft bin.«
    »Ich bin nicht defensiv.« »Sie klingen defensiv.«
    »Das liegt daran, dass es offensichtlich unmöglich ist, zu leugnen, dass man defensiv ist, ohne defensiv zu klingen.« »Genau!«, sagte Dr. Levine etwas rätselhaft, lehnte sich in seinem Sessel zurück und zupfte sich seinen lächerlichen kleinen

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