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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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so ehrgeizig wie früher zu sein, da ihre ruinierten Knie ohne die inzwischen verkümmerten Muskeln einen solchen Missbrauch nicht verkraften würden. Die Schultern schwanken ebenfalls, werden bei jedem Schritt leicht hochgezogen, als würden sie einen plötzlichen arthritischen Schmerz erwarten. Der Gang ist auf eine unbeholfene Weise grazil, die paradoxe Mischung aus Alter und Jugend. In der Basketballstadt Bush Falls gibt es viele Männer mit diesem Gang. Mein Vater ist einer von ihnen, und jetzt, als Brad durch die Schwingtür der Intensivstation tritt, sichtlich verschwitzt und erschöpft, sehe ich, dass er gleichfalls diesen Gang angenommen hat.
    Er kommt auf mich zu und sagt: »Hey, Joe.«
    »Hey.« Wir umarmen uns und drücken uns fest. Nein, das tun wir nicht, das haben wir noch nie getan, aber es wäre schön, denke ich, die Art Brüder zu sein, die sich umarmen. Stattdessen geben wir uns gedankenlos die Hand, als würden wir auf einen Lichtschalter drücken, und das Wiedersehen ist abgehakt.
    »Ich bin froh, dass du kommen konntest.« Ich suche in seiner Stimme nach dem Tadel, der irgendwo versteckt sein muss, kann aber keinen Missklang entdecken. Er scheint völlig aufrichtig zu sein, ohne einen falschen Unterton.
    Wenn man meine ein Meter fünfundsiebzig nehmen und sie auf einen Meter fünfundneunzig strecken würde, dann würde man etwas bekommen, was annähernd wie Brad aussieht. Die gemeinsame DNA lässt sich nicht leugnen, aber seine ist in den Genuss eines Nudelholzes gekommen, wodurch er lang und drahtig wurde, wohingegen ich kleiner und wesentlich stämmiger bin. Aber wir haben beide dasselbe glatte braune Haar und die dunklen Augen unserer Mutter und den kantigen, polnischen Kiefer unseres Vaters.
    »Wie geht es ihm?«, frage ich und deute auf das Zimmer.
    Brad legt die Stirn in Falten. »Unverändert.«
    »Was sagen die Ärzte?«
    Die Falten werden tiefer. »Nicht viel. Sie müssten aber bald kommen, dann kannst du sie selbst fragen.«
    Ich nicke und sehe wieder auf die Tür zur Intensivstation. »Warum gehst du nicht schon einmal zu ihm rein«, sagt Brad mit einem Blick auf Cindy und die Zwillinge. »Ich komme in ein paar Minuten nach.«
    Ich brauche ein paar Sekunden, um meinen Vater inmitten des Wirrwarrs aus Schläuchen und Drähten ausfindig zu machen, die seine auf dem Rücken ausgestreckte Gestalt kolonisiert haben und an jeder möglichen Schnittstelle in seinen schlaffen Körper eindringen oder aus ihm hervortreten. Er wird durch Mund und Nase intubiert, ein Infusionsschlauch verschwindet in seinem Arm, ein Katheter Beutel ragt in der Nähe seiner Hüften unter der Bettdecke hervor, und diverse Drähte sind an Elektroden auf seiner Brust befestigt, die gleich bleibende Daten an den piepsenden Herzmonitor auf der linken Seite seines Bettes weiterleiten. Er liegt völlig entmenschlicht da, wie aus einem Stück von Isaac Asimov, und all seine tief persönlichen Lebensprozesse werden jetzt von den Maschinen übernommen, die für ihn atmen, furzen, scheißen und schlucken, während der Schlauch in seinem Mund ihm selbst den Anschein eines Ausdrucks raubt.
    Ich sehe über die Schläuche hoch zu seinem Haar, dessen pechschwarze Farbe, die ich in Erinnerung habe, inzwischen schwarzgrau und mit silbernen Strähnen durchsetzt ist. Auf seinem Kinn sind ein paar kleine dunkle Stellen, Bartstoppeln, die sich wie Mohnsamen zu seltsamen Mustern formen, die mich an Homer Simpson erinnern. Mein Vater liegt in einem kritischen Zustand auf der Intensivstation, während sein ihm entfremdeter Sohn an Comicfiguren denkt. Seine Augenbrauen sind buschiger geworden, aber die Narbe über seinem linken Auge kann ich immer noch erkennen, das Ehrenabzeichen von dem Ellbogen, den er bei dem bundesstaatlichen Meisterschaftsspiel 1958 abbekam. Er erzählt die Geschichte oft, jedem, der gewillt ist, zuzuhören, wie sie im vierten Spielviertel nach einem Sechzehn-Punkte-Rückstand noch einmal aufholten. Ganze zehn Sekunden vor der Schlusssirene ging er für den ausgleichenden Korbleger hoch, bekam den Ellbogen ins Gesicht und schaffte es trotzdem noch, bis zum Spielende durchzuhalten. Sie gewannen mit seinem Freiwurf, bei dem ihm von der Platzwunde auf der Stirn bereits das Blut ins linke Auge tropfte und ihm fast die Sicht nahm. Diese Geschichte, zusammen mit einem körnigen Bild seines blutverschmierten Gesichts, erschien in The Minuteman, und ein gerahmtes, vergilbtes Exemplar davon hing augenfällig bei uns zu Hause

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