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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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anderen gegolten haben.
    Cindy sieht auf. »Hey, Joe«, sagt sie gleichmütig. Sie steht auf und gibt mir einen trockenen Kuss auf die Wange, und ich merke, wie ich unwillkürlich ihren Körper bewundere, der selbst nach drei Kindern noch immer straff und geschmeidig ist. Man könnte nicht sagen, dass sich irgendetwas an ihrem Gesicht geändert hat, bis auf eine ganz leichte Gerbung der Haut genau unter ihren Augen vielleicht, und doch ist irgendwo ein Licht ausgegangen. Die Struktur ist noch da, so wunderschön wie eh und je, aber der Motor, der sie antreibt, ist heruntergefahren worden, das mächtige Dröhnen zu einem dumpfen, tuckernden Brummen reduziert. Die Männer sehen ihr gewiss immer noch nach, wenn sie die Straße hinuntergeht, katalogisieren mit hungrigen Blicken ihren straffen Bauch und ihre federnden Brüste, ihre schlanken, leicht muskulösen Beine und die weichen, herzförmigen Kurven ihres Hintern, werden von ihren Ehefrauen oder Freundinnen dafür zurechtgewiesen, dass sie ein bisschen länger hinstarren, als es das legale Limit gestattet, und besänftigen sie, indem sie erklären, ihnen sei etwas mehr Fleisch bei ihren Frauen lieber und andere männliche Lügen, aber das ist auch schon alles. Sie nehmen sie nicht in Gedanken mit nach Hause, wie sie es vielleicht früher getan hätten, damit sie die Wirklichkeit überlagert, während sie zu ihrem banalen Haushaltsorgasmus drängen. Cindys Schönheit ist zwar immer noch intakt, aber inzwischen von der Art, die man leicht vergessen kann.
    Sie tritt einen Schritt zurück und zeigt auf die Mädchen, die mich mit großäugiger Neugier mustern. »Emily und Jenny kennst du ja noch.« Sie macht sich nicht die Mühe, mir zu sagen, welche welche ist, als sei es für meine Zwecke ohne Bedeutung - was ja auch stimmt, nehme ich an. In ihrem ganzen Leben habe ich sie nur ein paar Mal gesehen, bei den seltenen Anlässen, zu denen Cindy und Brad zu Besuch nach New York kamen. »Mädchen, das ist euer Onkel Joe.«
    »Hi, Onkel Joe«, sagen sie völlig einstimmig und sehen sich dann an und kichern. Es ist das erste Mal, dass ich als Onkel bezeichnet werde, und ich schaudere, habe das Gefühl, mit auffällig leeren Händen dazustehen. Onkel sollten doch immer Zaubertricks können oder Silberdollars oder Süßigkeiten haben, stimmt's? Der einzige Onkel, den ich je hatte - Peter, der Bruder meiner Mutter -, quetschte mir immer die Schulter, steckte mir fünf Dollar zu, zwinkerte und sagte: »Mach keinen Scheiß, kleiner Scheißer«, obwohl ich gar nichts gesagt hatte. Ich hielt der Beleidigung routinemäßig stand, da es ein kleiner Preis schien, den ich für fünf Dollar zu bezahlen hatte. Ich überlege, ob ich jedem Zwilling einen Zwanziger geben soll, entscheide mich jedoch dagegen - weise, wie ich finde.
    »Hallo«, sage ich matt. »Zieht ihr euch immer gleich an?«
    »Wir sind nicht gleich angezogen«, sagt Emily oder Jenny grinsend.
    »Ja, wir sind nicht gleich angezogen«, pflichtet die andere bei, und wieder kichern sie einstimmig. Offensichtlich bin ich über irgendeinen Insiderwitz gestolpert.
    »Tut mir Leid«, sage ich. »Mein Fehler.« Aus irgendeinem Grund löst meine Entschuldigung einen erneuten Lachkrampf bei den Zwillingen aus, die sich fröhlich kichernd auf der Bank zurücklehnen.
    »Ein bisschen leiser, Mädchen«, sagt Cindy so gewohnheitsmäßig, dass ich wetten möchte, sie weiß nicht einmal, dass sie gesprochen hat. »Wo ist Brad?«, frage ich.
    »Er ist drinnen bei ihm.« Sie zeigt auf die Tür der Intensivstation, in der in diesem Augenblick mein Bruder auftaucht.
    Die meisten Leute verwesen, nachdem sie gestorben sind, aber bei Athleten und Rockstars setzt der Prozess schon Jahre früher ein. Bei Rockstars beginnt es im Gesicht; sehen Sie sich bloß ein beliebiges Foto von Mick Jagger an, das in den letzten zehn Jahren entstanden ist. Bei Athleten werden zuerst die Beine befallen. Alternde Athleten haben diesen Gang, dieses leichte Hin- und Herschwanken, als würden sie bei jedem Schritt, den sie tun, das betreffende Bein schonen. Die Beine schreiten tapfer aus, da sie sich an die mühelose Muskelkraft erinnern, und dann, als würde ihnen plötzlich wieder einfallen, dass diese Muskeln sich abgebaut haben, kommt ein leicht nach innen gerichteter Fuß verfrüht nach unten und schlägt vorsichtig auf den Boden auf, um den Schritt zu verkürzen. Es ist ein Realitätscheck, der die Beine erinnern soll, dass sie es sich nicht mehr leisten können,

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