Stadtfeind Nr.1
Spitzbart, durch den sein Mund verdächtig nach einer Vagina aussah. Ich fragte mich, ob er ihn sich vielleicht aus genau diesem Grund hatte wachsen lassen, als überzeugter Freudianer und überhaupt. Er nahm seine goldumrandete Brille ab und putzte sie geistesabwesend mit seiner Krawatte. Dann setzte er sie wieder auf und stellte mir die Frage, auf die alle Therapeuten unweigerlich zurückgreifen, wenn die Kreativität sie im Stich lässt, bevor die Stunde um ist. »Erzählen Sie mir von Ihrem Vater.«
»Oh, ich bitte Sie. Sie haben doch sicher etwas Besseres auf Lager.«
»Finden Sie nicht, dass das eine legitime Frage ist?« »Wer von uns beiden wird jetzt defensiv?« »Ich bin nicht -« Er fing sich und warf mir ein mitleidiges Lächeln zu. »Sehr clever, Joe. Ich bedauere, dass Sie das Bedürfnis verspüren, mich in diesen verbalen Zweikämpfen zu übertrumpfen. Es zeigt einen Mangel an Respekt mir und meinen professionellen Fähigkeiten gegenüber.« Mein Therapeut zog allen Ernstes einen Schmollmund. »Ich frage mich, weshalb Sie sich überhaupt die Mühe machen, zu kommen.« Also kam ich nicht mehr.
Die Churchill macht eine Biegung nach rechts und führt wieder auf die Stratfield Road, die sich an dieser Stelle zweispurig in jeder Richtung erweitert und ins Geschäftsviertel der Stadt führt. Schicke Einkaufspassagen und weitläufige Parkplätze tauchen zu beiden Seiten der Straße auf. Die nächsten fünf Blocks sind randvoll mit Geschäften, die auf vorstädtischen Bedarf so ziemlich aller Art ausgerichtet sind. Radio Shack, KB Toys, Blockbuster Video, Carvel, Party City, Home Depot, Barnes & Noble, Super Stop & Shop, eine CVS-Drogerie, Coconuts Music, zwei Juweliergeschäfte, eine Gärtnerei und das Duchess Diner. Am letzten Block sehe ich das Geschäft, das früher einmal P. J. Porter's Flaggschiff war und das jetzt abgerissen wird.
Einen Block weiter biege ich rechts in die Oak Hill Road ein und dann auf den Parkplatz des Mercy Hospitals, eines zweistöckigen Backsteinbaus, der zu fröhlich und nicht annähernd genug nach einer Anstalt aussieht, um ein Krankenhaus zu sein. Ich stelle mich absichtlich auf zwei Parklücken, um zu verhindern, dass irgendjemand zu nah neben mir parkt, eine etwas peinliche Angewohnheit, die ich entwickelt habe, nachdem ich den Mercedes gekauft hatte. Parkplätze sind eine Brutstätte für Türenkratzer, der Fluch im Leben eines jeden Luxuslimousinenbesitzers. Wieder einmal wird mir bewusst, dass ich meinen Wagen hasse. Er ist wie eine teure Nutte. In dem Augenblick, in dem man mit ihm fertig ist, will man, dass er spurlos verschwindet.
Eine kühle Oktoberbrise streift mich wie ein Segen, als ich aus dem klimatisierten Käfig des Mercedes steige. Der Himmel ist bedeckt von dicken, staubfarbenen Wolken, und die jungen Ulmen, die in exakten Abständen über dem Parkplatz angepflanzt wurden, recken flehend die Blätter nach oben. Eine kleine Gruppe junger Ärzte macht eine Zigarettenpause auf den Eingangsstufen, was ich als etwas blasphemisch empfinde, wie Rabbis, die Schweinefleisch essen. Ich stelle mich dem Spießrutenlauf ihres blauen Dunstes, halte die Luft an, bis ich durch die Drehtür bin, und folge den Schildern zur Intensivstation.
Cindy sitzt mit gelangweilter Miene auf einer Bank im Korridor vor der Intensivstation, die Zwillinge neben sich. Alle Zwillinge sind süß. Ich habe noch nie ein hässliches Paar erlebt. Es ist, als ob es eine Art Schutzmechanismus gibt, biologischer oder göttlicher Natur, der ausschließlich dem Zweck dient, die Verdoppelung von Hässlichkeit zu verhindern. Und Brads Mädchen sind über die Maßen süß. Sie haben so gut wie nichts von ihm und alles von ihrer Mutter. Sie sind zwölf Jahre alt, haben das wallende dunkle Haar und den zarten Teint ihrer Mutter und tragen identische Karoröcke und weiße Polohemden. Bei ihrem Anblick weiß man, dass sie sich, wenn sie älter werden, niemals um Pickel oder dicke Schenkel und Arsche werden sorgen müssen. Sie werden perfekt sein wie ihre Mutter, bis genau diese Perfektion letztendlich ihr Schönheitsfehler sein wird. Sie lassen die Beine baumeln, an den Füßen verschränkt, vor und zurück, wodurch die Wirkung eines fast perfekten Spiegelbilds entsteht.
»Hallo, Cindy«, sage ich förmlich. Es ist zwanzig Jahre her seit dem Fellatio-Vorfall, aber das ist immer noch das Erste, was mir durch den Kopf schießt. Männer neigen dazu, Dinge wie Blowjobs nie zu vergessen, selbst wenn sie
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