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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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blieb fest dabei, es zu ignorieren, entschlossen, diesem neuen Irrsinn wie einem aggressiven Virus standzuhalten. Ich war so naiv zu glauben, es sei lediglich eine etwas bizarre Verhaltensphase, ein rebellisches Experimentieren, aus dem sie irgendwann wieder herauswachsen würden.
    Es war schließlich das Jahr 1986, und man hatte uns noch nicht beigebracht, mit Dingen dieser Art umzugehen. Wir wussten von der Homosexualität so, wie wir von Gott wussten; wir hatten gehört, dass es sie gab, akzeptierten aber nicht unbedingt den tatsächlichen Sachverhalt. Wir stellten Mutmaßungen über Michael Jacksons angebliche Einnahme weiblicher Hormone und über Boy Georges Lippenstift an, und wir stempelten sie zu Schwuchteln, aber tief in uns glaubten wir nicht wirklich, dass sie tatsächlich schwul waren. Es war alles nur Marketing. Es gab weit verbreitete Gerüchte über Andrew McCarthy, aber er trieb es in St. Elmo's Fire - Die Leidenschaft brennt tief so überzeugend mit Ally Sheedy, dass er unmöglich schwul sein konnte. Wir zogen uns gegenseitig mit Ausdrücken wie »Schwanzlutscher« und »Schwuchtel« auf, aber wir meinten es nie wörtlich. Wir
    schnappten die Stichworte hauptsächlich von Hollywood auf, wo die Wirklichkeit ebenfalls geleugnet wurde. Für uns Vorstadtjungen existierte die Homosexualität auf einer rein konzeptuellen Ebene, wie Algebra oder die korkenzieherähnliche Form des Universums.
    Und so konnte ich eine Weile so tun, als würde ich nicht sehen, was ich sah, und blieb überzeugt, dass es die beste Taktik sei, die Sache wie einen streunenden Hund zu behandeln: Solange ich keinen Blickkontakt herstellte, würde es irgendwann wieder verschwinden. An diesen Glauben musste ich mich klammern, nicht nur, weil die Alternative undenkbar für mich war, sondern weil die beiden meine besten und einzigen Freunde waren und ich entsetzliche Angst hatte, sie zu verlieren. Ihre Homosexualität hätte, nüchtern betrachtet, beleidigend für meine behüteten Empfindsamkeiten sein können, aber selbst das verblasste neben der erdrückenden Einsamkeit, die ich seit dem unglückseligen Sprung meiner Mutter in den Bush River gekannt hatte.
    Ich wusste es also, und sie wussten, dass ich es wusste, und ohne je darüber zu diskutieren, fanden wir kollektiv zu einer stillschweigenden Akzeptanz der Situation. Es war wirklich erstaunlich, wie rasch es uns in dem Vakuum dieses heißen, leeren Sommers völlig normal vorkam. Es verstand sich von selbst, dass ich vielleicht manchmal zu Sammy kam und Wayne bereits dort antraf oder dass Wayne am Ende eines Abends noch eine Weile bei Sammy herumhing, nachdem ich schon nach Hause gegangen war. Irgendwie ließ ich sie die Seltsamkeit ihrer Beziehung nie spüren, und sie ließen mich nie spüren, dass bei dreien manchmal einer zu viel war. Ich nehme an, jeder von uns hatte seine eigenen Gründe dafür, das Ausmaß dessen, was da geschah, herunterzuspielen und den Status quo aufrechtzuerhalten. Und der Sommer plätscherte dahin und entwickelte dabei unaufdringlich seine eigene stille Dynamik.
    Eines Abends, als wir alle an Sammys Pool herumhingen, ging ich ins Haus, um etwas zu trinken zu holen und ein bisschen mit Lucy zu flirten, die in ihrer Krankenhauskluft zusammengerollt auf der Wohnzimmercouch lag und eine People-Zeitschrift las.
    »Hi, Joe«, sagte sie und ließ die Zeitschrift sinken, um mich anzusehen. »Wie geht's?«
    »Gut.« Ich war noch feucht vom Pool, und ich schauderte, als die Nässe auf meiner Haut von der Klimaanlage gefriergetrocknet wurde.
    »Ich dachte nur, ich sage rasch Hallo.«
    Lucy lächelte, ein warmes, freundliches Lächeln, in dem ich vielleicht einen leisen amüsierten Hinweis zu erkennen glaubte, dass meine Vernarrtheit sie nicht völlig gleichgültig ließ.
    »Du bist ein solch süßer Kerl«, sagte sie. »Wie kommt es, dass du keine Freundin hast?«
    »Ich habe Bindungsprobleme.«
    »Wie denn das?«
    »Niemand will, dass ich mich binde.«
    Sie lachte. »Ach, ich bitte dich. Ein gut aussehender Bursche wie du?«
    »Keine Ahnung«, sagte ich grinsend. Sie setzte sich auf, und mir fiel auf, wie die Spalte ihres Brustansatzes unten an der Spitze ihres V-Ausschnitts auftauchte. Es war wirklich absurd, wie eine simple vertikale Linie solch heftige chemische Reaktionen in meinen unteren Regionen auslösen konnte. Sie betrachtete mich einen Augenblick lang düster, schien etwas sagen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders und biss sich nachdenklich

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