Stadtfeind Nr.1
erlitten. Obwohl sich Vater und Sohn dem Vernehmen nach fremd geworden sind, ist der Zustand seines Vaters vermutlich der Grund für Goffmans Rückkehr nach Falls.
Eine Verfasserzeile steht nicht darunter, und ich frage mich, ob Carly den Artikel geschrieben hat. Wenn nicht, wird sie ihn als Chefredakteur in zumindest redigiert haben, bevor er in Druck gegangen ist. Ich gehe den Artikel sorgfältig durch, suche nach einer Tendenz, nach einer Wortwahl, die mir vielleicht einen Hinweis geben könnte, welche Einstellung sie mir gegenüber haben könnte, aber ich kann nichts finden. Ich lege die Zeitung beiseite und gestatte mir zum ersten Mal seit meiner Rückkehr, wirklich über Carly nachzudenken, etwas, was ich bis jetzt bewusst vermieden habe. Es würde mir schwer fallen, die Bilder von Frauen, mit denen ich vor ein paar Wochen ausgegangen bin, heraufzubeschwören, aber Carlys Gesicht auf der Leinwand meines Gedächtnisses zu rekonstruieren erfordert nicht die geringste Mühe.
Und als ich jetzt in der Küche meines Vaters sitze, erinnere ich mich mit Leichtigkeit an den Geschmack ihrer Küsse, den Ausdruck ihres Gesichts, als ich bei jenem ersten Mal unbeholfen an den Knöpfen ihrer Bluse fummelte, eine köstliche Mischung aus nacktem Verlangen und liebevollem Humor. Ich sagte ihr, dass ich sie liebte, wobei meine Brust vor der völligen Wahrheit dieser Worte bebte, und sie küsste mich innig und sagte dasselbe zu mir. Wir blieben acht Monate zusammen, auf der Zeitschiene insgesamt kaum ein Lidschlag, aber wenn man achtzehn ist, dann ist die Zeit noch nicht so grillenhaft und gnadenlos, wie sie wenig später wird, und acht Monate sind daher nicht weniger als eine ganze Lebensspanne. Ich stemme mich vom Tisch hoch, gehe nach draußen und steige über das zerfledderte Exemplar von Bush Falb, das aufgeschlagen auf dem Gehweg liegt. Ich bin entschlossen, die Bücher dort liegen zu lassen, wo sie gelandet sind. Als ich die Wagentür öffne, sehe ich auf einmal, dass irgendwann in der Nacht irgendjemand meinen Mercedes mit einem Schlüssel bearbeitet hat, eine Hand voll hässlicher, gezackter Streifen, die sich in einer unbeholfen serpentinenförmigen Bahn über die Tür ziehen und die Lackschicht deutlich dezimiert haben. Ich betrachte einen Augenblick das entstellte Metall, die nicht zu entziffernden Hieroglyphen des Vandalismus, dann steige ich in den Wagen, wobei ich aufpasse, dass ich meinem geprellten Brustkorb nicht mehr Schmerzen zufüge als Unbedingt nötig, und fahre los. Ich denke immer noch darüber nach, wie weit ich mich unbewusst von dem Jungen entfernt habe, der ich einmal war, und frage mich, wie wenig ich dafür vorzuweisen habe.
1986
16
Nach dem Vorfall mit dem Kopiergerät beruhigte sich die Lage für eine Weile, aber Sammy blieb untröstlich. Ich wusste nicht, ob er an Wayne verzweifelte oder immer noch unter einem Arsch voll Xeroxglas litt, aber er lief zwischen den Unterrichtsstunden mit einer entschlossenen Trübsal durch die Korridore, und sein normalerweise unschlagbares Lächeln war völlig verschwunden. Er hatte aufgehört, spontane kleine Schrittfolgen zu tänzeln und den Leuten mit Springsteen-Texten Ständchen zu bringen. Und auch wenn Sean und Mouse ihn nicht mehr physisch attackierten, verspotteten sie ihn doch immer noch regelmäßig . Hey, Süßer, was macht dein Arsch? Keine Sorge -du wirst dich bald wieder vornüberbeugen können!
Sammy seinerseits schien sich mit seiner Opferrolle völlig abgefunden zu haben und ertrug jede neue Stichelei mit einer tragischen Resignation, ein Sklave dessen, was er als sein unveränderliches Schicksal empfand. Irgendetwas an seinem entschlossenen Mangel an Widerstand, die stoische Art, auf die er sein Leiden ertrug, wurde von Sean als Provokation aufgefasst, der von dem Ziel besessen war, Sammy auf die Palme zu bringen, zu sehen, dass er Widerstand leistete. Die beiden verhedderten sich hoffnungslos in einem tragischen Kreislauf, in dem Sammys Unterwürfigkeit nur dazu beitrug, Tallon in Rage zu bringen und das Ausmaß seiner Grausamkeit immer weiter zu steigern, was wiederum Sammy veranlasste, sich noch mehr in sein. Schneckenhaus zu verkriechen. Obwohl ich versuchte, ihm ein Freund zu sein, dauerte es nicht sehr lange, bis Sammys Zwangslage mich zu erdrücken begann. Angesichts meiner Bemühungen, ihm zu helfen, nahm ich es ihm übel, dass er so hartnäckig entschlossen schien, ein Loser zu bleiben. Außerdem hatte ich jetzt Carly, und die Zeit
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