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Stadtfeind Nr.1

Stadtfeind Nr.1

Titel: Stadtfeind Nr.1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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mir um. »Sean Tallon kann ein gefährlicher Mann sein«, sagt er. »Er ist etwas instabil. An deiner Stelle würde ich einen Bogen um ihn machen.«
    »Ein bisschen spät dafür, meinen Sie nicht?«, sage ich und zeige auf mein ramponiertes Gesicht.
    Der Coach schüttelt den Kopf und sieht mich blinzelnd an, als sei ich ein Idiot. »Er ist noch zu weitaus Schlimmerem im Stande.«
    »Na ja, dann bin ich Ihnen wohl zu Dank verpflichtet dafür, dass sie gestern Abend dazwischen gegangen sind.« »Das habe ich für Brad getan«, knurrt Dugan mich an. »Er hat schon genug am Hals, auch ohne dass Tallon ihn in die Notaufnahme befördert.«
    »Für mich sah es aus, als hätte er sich durchaus behauptet.«
    Dugan wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Ich habe vergessen, mit wem ich rede«, sagt er. »Und wer ist das?«
    »Jemand, der keinen blassen Schimmer hat.« Er verlässt das Zimmer und schließt hinter sich die Tür. Ich bin nicht überrascht, als ich feststelle, dass ich in dem klimatisierten Raum leicht schwitze.
    »Jetzt sind wir beide ganz allein, Dad«, sage ich etwas befangen und lehne mich mit einem Esquire-Magazin zurück. Etwas später gehe ich zu Newsweek über, und dann, irgendwann mitten in Us Weekly , nicke ich ein. Ich träume, wie so oft, von Carly, etwas Warmes und Süßes und unendlich Trauriges, und als ich aufwache, sehe ich, wie mein Vater mich anstarrt. Ich richte mich erschrocken auf, wobei ich mit dem Ellbogen den Styroporbecher auf dem Fensterbrett umstoße, sodass er auf den Boden fällt und meine Schuhe und den Aufschlag meiner Khakihose mit lauwarmem Kaffee bespritzt. »Dad«, sage ich, die Stimme noch belegt vom Schlaf. »Ich bin's, Joe. Kannst du mich hören?«
    Es kommt keine Antwort, aber sein starrer Blick scheint, wenn auch etwas matt, eine leise Spur von Klarsicht zu enthalten. Ich greife nach seiner Hand, die so viel größer und rauer ist als meine eigene, und drücke sie sanft. Die Hand bleibt schlaff, aber jetzt sehe ich, dass seine Augen etwas weiter geöffnet sind, die dichten Augenbrauen fragend zu zwei kongruenten Bogen hochgezogen. Ich strecke den Arm über ihn aus, wobei ich mich langsam von meinem Platz erhebe, voller Angst, den Bann zu brechen, und drücke mehrmals auf den Schwesternrufknopf. Seine Augen wenden sich nicht einen Moment von mir ab, selbst dann nicht, als ich mich bewege. Als ich mich wieder auf meine Stuhlkante setze, sehe ich eine riesige, knollenförmige Träne, die sich zitternd auf der roten Membran im Innenwinkel seines linken Auges bildet. Die Träne nimmt bedenkliche Ausmaße an und verläuft in einer langsamen Diagonale über seine Wange nach unten, wobei sie teilweise von seiner teigigen Haut aufgesogen wird, bis sie sich schließlich knapp vor seinen Koteletten verliert. »Ist ja gut, Dad«, sage ich benommen. »Es wird alles gut.« Wieder strecke ich die Hand nach dem Rufknopf aus und presse ihn panisch. »Bleib einfach bei mir. Es wird gleich jemand kommen.« Aber noch während ich es sage, sehe ich, wie sich seine Augenlider wieder zu schließen beginnen und die Augäpfel in seinem Schädel nach oben rollen. »Dad!«, brülle ich ihn an, aber seine Augen bleiben geschlossen, und das ist der Zustand, in dem ihn die Krankenschwestern finden, als sie ein paar Augenblicke später herbeigeeilt kommen.
    Dr. Krantzler, der junge, müde aussehende Assistenzarzt, der bald danach auftaucht, studiert den langen, übereinander gefalteten Ausdruck aus dem EKG-Gerät und scheint völlig unbeeindruckt. Er starrt mich einen Augenblick lang prüfend an, wobei seine Augenbrauen nicht ein einziges Mal von ihrer skeptischen Höhe abfallen.
    »Ich will nicht unbedingt sagen, dass Sie nicht gesehen haben, was Sie gesehen haben«, sagt er, obwohl er mir offensichtlich genau das unterstellt. »Aber es hat bei keiner seiner Vitalfunktionen irgendwelche Schwankungen gegeben. Und Sie sagten ja, Sie hätten geschlafen.«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    Er lächelt herablassend und reibt sich die Augen. »Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Sie von der Monotonie des Wartens und durch den emotionalen Stress, unter dem Sie stehen, müde geworden sind und geträumt haben, Sie hätten gesehen, wie er die Augen geöffnet hat, oder eine kurze optische Täuschung wahrgenommen haben. Offen gesagt kommt das durchaus häufig vor.« »Ich weiß, was ich gesehen habe«, sage ich hitzig. »Na dann«, sagt er eingeschnappt und zieht sich aus dem Zimmer zurück, »lassen Sie

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